Verantwortung von unten übernehmen SFM 04/2014

»Ökologische Landwirtschaft fördern? Nicht von der Großen Koalition!«

»Weiter wie bisher ist keine Option!« – so lautet das Fazit des Weltagrarberichts. Das Dokument enthält die Analysen und Schlussfolgerungen von über 400 Wissenschaftlern, die im Jahr 2008 im Auftrag der Vereinten Nationen und der Weltbank die Frage erörterten, wie die Menschheit auch im Jahr 2050 zu ernähren ist, ohne die Artenvielfalt zu zerstören. Die Wissenschaftsgemeinde ruft in ihrem Bericht zu einem grundlegenden Wandel in der landwirtschaftlichen Forschung und Praxis auf, um Hunger und Armut auf der Welt zu bekämpfen.  Konkret empfehlen die Experten: Die Grüne Gentechnik, die Agrochemie und die zunehmende Patentierung von Saatgut sind kritisch zu hinterfragen. Die ökologische Landwirtschaft sollte dagegen weltweit ausgebaut und Kleinbauern gefördert werden.

Weiter wie bisher ist keine Option? Für die Bundesregierung schon. Sie lehnt es beharrlich ab, sich dem Agrarbericht mit einer Unterschrift anzuschließen.  Erst Anfang Juni scheiterte erneut ein entsprechender Antrag der Grünen im Bundestag.

Was die deutsche Politik davon abhält, die Empfehlungen der internationalen agrarpolitischen Vernunft zu übernehmen – im Gegensatz etwa zu Staaten wie Großbritannien, Schweden, der Schweiz oder China – ist unklar. In der Bundestagsdebatte redeten sich die Vertreter der Koalitionsfraktionen damit heraus, dass die Bundesregierung auch »ohne die Unterzeichnung im Lichte der Erkenntnisse und Empfehlungen des Weltagrarberichts« handle. Heißt übersetzt: Eine Handlungsverpflichtung lehnt die Große Koalition ab. 

Dabei fiele Deutschland als eine der größten (Land-)Wirtschaften der Welt – die Bundesrepublik ist der drittgrößte Exporteur und zweitgrößter Absatzmarkt von landwirtschaftlichen Produkten –  eine besondere Verantwortung zu. Unser hochindustrialisiertes Ernährungssystem ist eine wichtige Ursache für den Klimawandel. Es führt zu Artensterben, Wasserknappheit und Umweltvernichtung – auch außerhalb Deutschlands. Die zunehmende Reservierung von Boden für die Futtermittel- und Energieproduktion setzt zudem die falschen Signale für andere Staaten, die sich an unserem System orientieren.

So werden beispielsweise für die Herstellung von nach Deutschland importierten Lebensmitteln immer mehr landwirtschaftliche Flächen im Ausland belegt. Wie das statistische Bundesamt (Destatis) in einem Forschungsprojekt ermittelt hat, sind diese Flächen innerhalb von zehn Jahren (2000 bis 2010) um 38 Prozent auf 18,2 Millionen Hektar gestiegen. Im Inland ging im gleichen Zeitraum die für die Ernährung genutzte Fläche um fünf Prozent auf 14,7 Millionen Hektar zurück.

Die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik in Deutschland wäre es daher, mutig zu sein und einen gesellschaftlichen Dialog über die Frage anzustoßen, wie wir es mit unserer Ernährung tatsächlich halten wollen. Insbesondere sollten wir überlegen, ob die herrschende Doktrin des immer Höher, Weiter und Größer in der Landwirtschaft eine Zukunft haben kann.

Dass sich die Bundesregierung diesem Dialog verweigert, ist umso erstaunlicher, da sich doch längst ein großer Teil der Bevölkerung mit diesen Fragen aktiv auseinandersetzt – und auch schon Antworten gefunden hat. Immer mehr  verantwortungsbewusste Menschen gestalten die Veränderung des Systems von unten. Es gibt eine neue Graswurzelbewegung in Deutschland, die unzählige regionale Initiativen ins Leben gerufen hat: in Form von Biokisten-Abonnements, als landwirtschaftliche Genussschein-Modelle oder ähnlichen Ausprägungen Solidarischer Landwirtschaft. Solche Wirtschafts- und Verantwortungsgemeinschaften handeln ethisch, sozial und ökologisch nachhaltig, mit Blick auf die Sicherung einer Zukunft für die nachkommenden Generationen.

Hier nehmen engagierte Menschen das Ernährungssystem ernst und folglich auch in die eigene Hand. Denn: Weiter wie bisher ist tatsächlich keine Option!

Bleiben Sie also weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,

Ihre Ursula Hudson

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