Lippegans

Weidegans aus Westfalen

Arche-Passagier seit 2022

Unterstützt von Slow Food Südlicher Teutoburger Wald

Beschreibung des Passagiers

Die Lippegans ist eine typische Weidegans und die einzige in Westfalen seit etwa 1860 nachgewiesene Gänserasse. Besondere Merkmale sind ihr reinweißes Gefieder, der dreikantige Schnabel mit den aufspringenden Nasenlöchern, der ziemlich lange, fast aufrecht getragene Rumpf und eine volle, runde, hoch angesetzte Brust. Der Ganter erreicht ein Gewicht von 6,5 bis 7 kg, die Gans 5,5 bis 6 kg. Die mittelschwere Rasse zeichnet sich auch durch ihre früher wichtige Marschfähigkeit und ihre leichte Beweglichkeit aus. Sie ist der Gruppe der Landgänse zuzuordnen. Landschaftsverband Westfalen Lippe Jähne_Lippegans_180729-FM-2.jpgSie ist eine wenig krankheitsanfällige, wetterfeste, frühreife und leicht mästbare Gans. Das Zuchtziel ist eine frohwüchsige, wetterfeste Weidegans mit guten Lege- und Bruteigenschaften. Sie soll möglichst schon im Dezember damit beginnen, so dass die Gössel (Gänseküken) bereits im zeitigen Frühjahr auftriebfähig und witterungsfest sind. Die besondere Fruchtbarkeit zeigt sich auch dadurch, dass man in der Regel zwei, bei guter Haltung auch drei Bruten mit jeweils 12 bis 14 Eiern erwarten kann. 

Die Lippegans ist als robuste Gänserasse für die ganzjährige Freilandhaltung geeignet und kann mit Gras- und Grünfütterung gut auf ein Lebendgewicht von 5 bis 6 kg gefüttert werden. Eine leichte Zufütterung mit Getreide in den letzten Monaten bringt eine weitere Zunahme, u.a. auch das geschmacksbildende Gänsefett.

Außerordentlich wichtig war ein früher Bruttermin, weil die ersten Gänseküken des Jahres viel gewinnbringender verkauft werden konnten und  die Gänse nur bis zum 1. April auf die Weiden durften. Danach waren die Flächen für die Großtiere reserviert. Tiere, die bis zum 1. April noch nicht flügge, das heißt sieben bis acht Wochen alt waren, konnten noch auf den großen Gänsemärkten in Geseke, Lippstadt oder Neuhaus abgesetzt werden. In Geseke im Landkreis Soest entstand aus dem Viehmarkt ein Volksfest: die „Geseker Gösselkirmes“, 1939 wurden dort 8.000 Gössel aufgetrieben, im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie erreichten Geseke „zu Fuß“, wurden über Straßen und Wege aus der Lippeniederung nach Geseke getrieben. Für die dann noch verbliebenen Tiere mussten neue Weideplätze gesucht werden. Das waren oft auch Wegränder, Straßengräben und im Herbst abgeerntete Felder – eine sehr nachhaltige Nutzung und eine Mitgestaltung der Kulturlandschaft. Die Daunen der Gänse wurden ebenfalls genutzt und auch ein Gänsefittich (Vorderflügel zum Abkehren von Tischen) durfte in keinem ländlichen Haushalt fehlen.

Gefährdung des Passagiers

Verbreitungsgebiet der Lippegans war die Region der wasser- und weidereichen oberen Lippeniederung etwa von der Quelle bis westlich von Lippstadt bzw. dem sogenannten westfälischen Gänsedreieck Mastholte-Delbrück-Geseke. Hier hat sich in den bäuerlichen Betrieben unter dem Einfluss des Grünlandstandorts die typische marschfähige Weidegans entwickelt. Die Tiere wurden auf den Grünlandflächen und später an den Wegrändern gehütet.

Aufschwung bekam die Rasse durch den Bau der Eisenbahn Lippstadt-Geseke-Paderborn (1861). Durch diese verbesserten Transportbedingungen konnte die Gänsehaltung intensiviert werden. Von Februar bis April wurden die Tiere nun in hohen Stückzahlen in Waggons verladen und an ihren Bestimmungsorten, vor allem Frankfurt und Berlin, in Großmästereien bis zum Mastendgewicht von 7 bis 9 Kilogramm gefüttert und zu Weihnachten verkauft. 1927 wurden in Geseke 49.000 Gössel verladen, 1939 sogar 67.000 Stück. Vor allem Berliner Großhändler*innen kamen nach Geseke, um die Preise zu verhandeln und die Tiere vor Ort zu begutachten. Die Lippegänse waren typische Produkte der Region.

Wie bei nahezu allen Gänserassen fand ab den 1950er Jahren ein massiver Produktionsrückgang statt. Fettes Fleisch war zunehmend verpönt, deshalb wurden Gänse durch Puten und Hähnchen ersetzt. Billige Importe vor allem aus Ungarn und Polen machten die Gänsezucht zunehmend unrentabel. Die Rasse galt als ausgestorben. Eine durch das LWL-Freilichtmuseum Detmold gestartete Presseaktion machte mit Hilfe eines Preisrichters, der die Gänse noch von Ausstellungen kannte, einige Tiere der alten Zuchtrichtung ausfindig. Vor allem durch die Gründung des „Stammbuch Lippegans e.V.“ im Jahre 2000 gelang die Rettung der Gänserasse vor dem völligen Verschwinden in letzter Minute.

Gert Dirkwinkel_Lippegans_Gössel.jpgAber sie ist weiterhin in Gefahr: In der Roten Liste der gefährdeten Nutztierarten der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) wird sie als „extrem gefährdet“ (Kategorie I) geführt.

Heute engagieren sich ausschließlich Hobbyzüchter*innen für das Geflügel, wobei nur wenige mehr als 10 Tiere halten. Dem Stammbuch Lippegans e.V. gehörten Mitte 2022 100 Mitglieder an, darunter sind etwa 40 Züchter*innen mit ca. 50 Zuchtpaaren, die jeweils 6 bis 8 Gössel im Jahr ausbrüten.

Vermarktung des Passagiers

Die wirtschaftliche Bedeutung der Lippegans ist derzeit gering. Durch die Arbeit des Vereins ‚Stammbuch Lippegans e.V.‘ hat sie in der Region aber wieder an Bedeutung gewonnen, auch auf der Gösselkirmes in Geseke sind wieder Gössel zu sehen. Der Verein führt das Zuchtbuch für die Lippegans.

Landschaftsverband Westfalen Lippe Jähne_Lippegans_1110-FM-Tiere112.jpgDie meisten Lippegänse werden zur Adventszeit von den Züchter*innen selbst vermarktet, gelegentlich auch über örtliche Geflügelschlachtereien oder Markthändler*innen in der Region.

Für die nächste Brutsaison ist eine verstärkte Zusammenarbeit einiger Züchter*innen zur Haltung größerer Mastbestände verabredet. Als fester Termin wird jedes Jahr im Herbst eine Stammbuchschau durchgeführt. Dort werden Zuchtdaten ausgetauscht, u.a. alle neuen Zuchttiere bewertet und registriert, sodass alle Abstammungen nachvollzogen werden können. Es werden neue Züchter*innen geworben, wofür die Zusammenstellung neuer Zuchtpaare eine gute Voraussetzung bietet.

Regionale Bedeutung des Passagiers

Historisch lag die Wirtschaftlichkeit der Lippegänse vor allem an dem frühen Bruttermin und der dadurch erreichten höheren Verkaufserlöse dieser frühen Gössel. Sehr gut dazu passte die Form der Landwirtschaft in der Grünlandregion ‚Lippeniederung‘, da die Flächen ab 1. April nicht mehr für die Gänse zur Verfügung standen. Dass die Gänse die Region prägten, macht beispielsweise der Name: „Westfälisches Gänsedreieck" deutlich oder auch die Geseker Gösselkirmes.

Geschmack des Passagiers

‚Sie passt gut in einen Bräter‘ war die geläufige Beschreibung in der Region, um dann gleich den besonderen Geschmack hervorzuheben. Die Weidemast im Sommer und insbesondere die anschließende Stoppelmast bis ‚Martini‘ mit dem Ausfallgetreide auf den abgeernteten Feldern soll ihr einen ganz besonderen fettreichen Schlachtkörper und im Bräter den typischen Wohlgeschmack verleihen. Sie hat als robuste Freilandgans einen deutlich intensiveren Geschmack als Tiere aus der Hybridzucht.

Besonderheiten bei der Erzeugung und Weiterverarbeitung des Passagiers

Hinsichtlich der frühen Eiablage ist ein frostsicherer Stall sehr wichtig. Sowohl bei Naturbrut als auch nach dem Ausbrüten in der Brutmaschine ist eine Wärmequelle im Stall sehr wichtig.

Züchter, Erzeuger und Bezugsquellen

Gert Dirkwinkel

Vourges Hof

33397 Rietberg-Mastholte

Tel. (0 29 44) 59 80 59

Weitere Informationen

1. Vorsitzende des ‚Stammbuch Lippegans e.V.“ ist Edith Schumacher, 59597 Erwitte, Tel.: (0 29 45) 16 41

Links und Aktivitäten rund um den Passagier

>>Slow Food Magazin: Geflügelte Passagiere

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