Bakterien Idel 26.7.2011

Bakterien: Warum es ohne sie nicht geht

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Unser Sonnensystem ist rund 4,6 Milliarden Jahre alt. Seit 2,5 Milliarden Jahren gibt es Bakterien auf der Erde. Bei Erscheinen des Menschen vor zwei Millionen Jahren waren sie von Anfang an Bestandteil seines Immunsystems. Im Bild: Modell des Sonnensystems in der Volkssternwarte München | Foto: K. Heuberger

26.7.2011 - Nicht erst seit dem EHEC-Ausbruch empfinden viele Menschen eine latente Angst vor Bakterien als heimtückischen Krankheitserregern. Die Tierärztin Anita Idel sagt, warum sie eigentlich unverzichtbarer Bestandteil unseres Immunsystems sind und warum der Mensch einen oft sinnlosen und gefährlichen Krieg gegen sie führt. 

In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Wahrnehmung dahin entwickelt, das Immunsystem für ein reines Abwehrsystem – insbesondere gegen Bakterien – zu halten, statt darin einen Mittler zwischen den Welten der Mikro- und der Makroorganismen zu erkennen. So sind vor allem zwei Aspekte aus dem Blick geraten: erstens sind ausgerechnet Bakterien unverzichtbarer Bestandteil unseres Immunsystems und zweitens haben sich Bakterien bereits unendlich viel länger auf dem Planeten Erde bewährt als wir Menschen, sodass unsere Millionen Jahre währende Entwicklung viel mehr mit und durch als gegen sie erfolgt(e).

Tatsächlich könnte das Mensch-Mikroben-Verhältnis enger nicht sein: Auf und im Menschen leben unglaubliche 10 hoch 14 Bakterien – eine Zahl, die das Zehnfache der 10 Billionen Zellen ausmacht, aus denen unser menschlicher Körper insgesamt besteht. Eigentlich ist es immer riskant, ein Loblied auf Bakterien zu singen; das gilt aber besonders nach Krankheitsausbrü- chen zumal mit Todesfolge. Könnte es doch so klingen, als würde ein Autounfall zum Anlass genommen, sich begeistert über die Möglichkeit des schnellen Individualverkehrs zu verbreiten. Aber das Loblied ist ein Muss – gerade jetzt, um zu verhindern, dass weiterhin die immer gleichen falschen Konsequenzen gezogen werden!

Gerade weil uns das Immunsystem mit unserer Umgebung verbindet, war und ist es ein fataler Fehler, seit einigen Jahrzehnten auf jedes Erregerproblem vor allem mit noch mehr Sterilität zu reagieren, das heißt, dem Versuch nach Vernichtung aller Mikroorganismen. Denn der Glaube, diese Strategie führe zu mehr Sicherheit – auch „Biosicherheit“ bzw. „Biosecurity“ genannt – ist ein Trugschluss. Sie mag zwar im Einzelfall als Lösung erscheinen, erhöht dabei aber zwangsläufig die zugrunde liegenden Risiken – und damit die Ursachen für die Probleme der Zukunft.

Die Evolution arbeit schneller als Forschung und Entwicklung

Denn sowohl Antibiotika als auch Desinfektionsmittel, deren häufige Anwendung immer mehr zum Usus in der Human- und Tiermedizin geworden ist, führen unvermeidlich zur Selektion: So entstehen Erreger mit immer größerer Widerstandsfähigkeit und Resistenz, und häufig nimmt auch ihr krankmachendes Potenzial zu – ihre Pathogenität bzw. Virulenz. Wie weit das führen kann, zeigt sich beispielsweise bei dem Bakterium Pseu­domonas aeruginosa. Dieser gegen eine Vielzahl von Antibio- tika resistente Erreger kann seit einigen Jahren in Desinfektionsmittellösungen (über-)leben und sich von sogenannten Hygieneprodukten ernähren!* Dass solche Extreme bereits seit Jahrzehnten als „Hospitalismuskeim“ bezeichnet werden, weist darauf hin, dass als Ort ihrer Entstehung anfangs Krankenhäuser identifiziert wurden, lenkt aber davon ab, dass die Ursachen nicht „nur“ in der Humanmedizin liegen. Denn erstaunlicherweise fehlt bisher ein entsprechender Terminus für die Tiermedizin, obwohl das Prinzip, das ungewollt zur Selektion immer gefährlicherer Erreger führt, immer das Gleiche ist. Motto: „Nur die Harten kommen durch.“ Das heißt, je widerstandsfähiger und resistenter ein Erreger bereits ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die nächste Behandlung mit Antibiotika und Desinfektionsmitteln erstens überlebt und damit zweitens beste Möglichkeiten hat, sich weiter zu vermehren, da ja keine Konkurrenz zu den nicht resistenten Erregern besteht.

Deshalb ist „Biosecurity“ mit immer neuen Antibiotika und Desinfektionsmitteln nicht nur keine Lösung, sondern auf Dauer gefährlich, ebenso, wie es wenig sinnvoll ist, Kleinkinder von der Erde und deren Mikroorganismen fernzuhalten. Denn diesen Kontakt braucht unser Immunsystem – besonders in der Phase seiner frühen Entwicklung. Das gilt für Jungtiere nicht minder. Die vermeintliche Biosecurity in der intensiven Tierhaltung wird selbst zum entscheidenden Treiber des Problems: Erstens wird die Entwicklung eines gesunden Immunsystem gehemmt, zweitens können die Erreger aufrüsten und drittens können chemische und Pharmaindustrie nicht mithalten. Denn die Fähigkeit der Erreger, auf die immer wirksameren Mittel erfolgreich zu reagieren, das heißt, sich durch Widerstandskraft und Resistenz dagegen zu schützen, entspringt evolutionären Dynamiken. Deshalb sind sie viel schneller, als die Expertenteams in den Entwicklungsabteilungen der Industrie je sein können.

Die einzig gute Nachricht liegt darin, dass die von Menschen provozierte Selektion der Erreger nicht permanent zum Auftre- ten von für den Menschen gefährlichen und auch tödlichen Epidemien führt. Aber genau das lenkt von der zugrunde liegenden Gefahr permanenter Risikoerhöhung ab. Gerade weil nicht alle Erreger so clever sind wie Pseudomonas aeruginosa, wird jeder Fall als Einzelfall wahrgenommen und nicht das gemeinsame Vielfache und somit nicht die Tendenz erkannt.
Der Wettlauf – chemische Keule gegen Mikroorganismen – hätte nie begonnen werden dürfen, schon deshalb, weil uns die Mikroorganismen circa 2,5 Millarden Jahre Entwicklung und gelebte Erfahrung voraus haben. Zwar sind es immer nur Ausnah- men, die dann zur tödlichen Gefahr werden, aber diese Ausnahmen summieren sich.

Siehe auch "EHEC: Was an der Aufarbeitung des Erregerausbruchs falsch läuft"
Beitrag aus dem Slow Food Magazin 04/2011. Den PDF-Download und weitere Beiträge finden Sie hier.


* Proceedings of the National Acadamy of Sciences of the United States of America (2006; 103: 7631­7636)

Zur Autorin: Dr. Anita Idel war von 2005 bis 2008 Lead-Autorin des Weltagrarberichtes (IAASTD). Die Tierärztin und Mediatorin ist Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin 1983, des Gen-ethischen Netzwerks 1986 und der Gesellschaft für Ökologische Tierhaltung 1991. Seit 1986 hält sie an der Universität Kassel Seminare zu den tiergesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Folgen der Agro-Gentechnik. Mit ihrem 2010 erschienenen Buch „Die Kuh ist kein Klima-Killer“ belegt sie die Potenziale nachhaltiger Weidewirtschaft für Welternährung, Natur- und Klimaschutz.

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