Kommentar Ehec Idel 26.7.2011

26.7.2011 - Neben viel zu vielen Schnellschuss-Antworten dominiert eine Frage die Diskussion um den EHEC-Ausbruch: die Fangfrage, „Können Sie ausschließen, dass...?“, bei deren Beantwortung man eigentlich nur verlieren kann. Gerade weil ein „Nein“ fast immer zutrifft, sind differenzierte Antworten so wichtig, meint die Tierärztin Anita Idel.

EHEC:"Können Sie ausschließen, dass..?" - Was an der Diskussion um den Erregerausbruch falsch läuft

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Der hessische Sozialminister Stefan Grüttner ließ die zuständigen Behörden Mitte Juni ein vorläufiges Badeverbot in fließenden Gewässern verhängen. Kurz darauf erklärte das zuständige Ministerium in Rheinland-Pfalz: „Wegen der nicht auszuschließenden Infektionsgefahr rät das Umweltministerium generell vom Baden in Fließgewässern ab”, und präzisierte: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass neben vielen anderen Keimen auch vereinzelt EHEC-Erreger in Fließgewässern auftreten können, wenn sie durch EHEC-Ausscheider belastet werden.“


Die Zynismusfalle: Alarmismus als Normalfall

Selbstverständlich kann niemand – auch kein Politiker oder Wissenschaftler – Gefährdungen in Gewässern ausschließen. Der Satz birgt somit keinen auch nur im Geringsten spektakulären Inhalt. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass jeden Tag und überall ein Tank mit Pestiziden ins Wasser kippen kann – eben auch unmittelbar nach einer Messung, deren Ergebnis soeben noch zu Recht „gute Qualität“ bescheinigte. Und die Aussage, dass Erreger „in Fließgewässern auftreten können“, wenn diese „durch EHEC­ Ausscheider belastet werden“, ist ebenso selbstverständlich – so wie wir auch schon vorher wussten, dass der Schimmel weiß ist.

Aber daraus – wie in Hessen geschehen – ein Badeverbot abzuleiten, ist eine Steilvorlage für all jene, die alles und jedes zur Schlagzeile machen.Die Fangfrage wirkt – ob ausgesprochen oder nicht – auf Politiker und Wissenschaftler wie ein Damokles- schwert. Zumindest für Politiker ist die Bedrohung real: Denn kommt es zu schweren Erkrankungen oder gar zu Todesfällen, müssen sie immer damit rechnen, zumindest medial verantwortlich gemacht zu werden, wenn sie sich nicht früh genug gegen Eventualitäten abgesichert haben. Aber so werden Warnungen beliebig und verkommen, wenn man das weiterdenkt, zum Alarmismus, der zum Normalfall wird. So wird letztlich das Baden im Flüsschen als gefährlicher wahrgenommen, als die zunehmende Dauerbelastung unserer Trinkwasserbrunnen durch Überdüngung mit Nitrat und anderen Stickstoffverbindungen...

À la „Das Leben ist gefährlich“ bliebe nichts, vor dem nicht gewarnt werden müsste. Eigentlich. Denn die Bedrohung für Politiker, die fürchten (müssen), bei der nächsten Wahl abgewatscht zu werden, kennt Ausnahmen: Während soeben noch eine EHEC-Schlagzeile die andere jagte und inzwischen schon wieder von teilweise beliebig anderen verdrängt wird, braucht weiterhin kein Minister um Image und Wiederwahl zu fürchten, wenn er trotz jährlich Tausender Unfallverletzter und mehrerer Hundert Toten in die Kameras strahlt, während er einen neuen Autobahnabschnitt einweiht. Gemessen wird somit mit zweierlei Maß. Denn das richtige Maß ist verloren gegangen in einer Atmosphäre, in der jede/r, der/die sich in der Diskussion (zum Beispiel) zu EHEC um Deeskalation bemüht, Gefahr läuft, angesichts von Verletzten und Toten des Zynismus bezichtigt zu werden. Derweil ist das Wissen um EHEC viel begrenzter, als es unter „Alles über EHEC“ den Anschein hat. Dort wird zwar von „Bild“ bis „FAZ“ ein Überblick über den Stand des Wissens geboten; man läuft aber da wie dort Gefahr, gar nicht zu bemerken, dass wesentliche Fragen noch gar nicht gestellt worden sind, ehe sie bereits beantwortet zu sein scheinen.


Meistens finden wir nur, was wir suchen

Aber auch Fragen können tückisch sein. Wenn der „Spiegel“ am 24. Juni anlässlich eines Fundes in Mecklenburg-Vorpommern fragt: „Wieso taucht der gefährliche Darmkeim plötzlich Hunderte Kilometer vom Seuchen­-Ursprungsort entfernt in einem Gewässer auf?“, verbindet er seine Frage mit einer Unterstellung. Es ist das kleine Wörtchen „plötzlich“, das dieser Frage eine entscheidende, aber vielleicht falsche Richtung gibt. Anders gefragt: Können Sie ausschließen, dass Sie und/oder ich Träger eines EHEC-Keimes sind, vielleicht gar des als besonders gefährlich bezeichneten Stammes E.-coli-O104:H4? Ausschließen können das natürlich weder Sie noch ich. Warum? Vor allem, weil bei uns ja gar nicht danach gesucht worden ist. Aber auch, weil sich Vermutungen häufen, dass auch O104:H4 nicht immer, das heißt, nicht bei jedem Menschen, tatsächlich Krankheitssymptome auslöst. So teilte der Kreis Paderborn am 1. Juli ein Untersuchungsergebnis mit: Danach war der EHEC-Erreger bei 15 Schülern festgestellt worden, ohne dass sie erkrankt waren. Würde man also auch bei uns fündig werden, wüssten wir deshalb noch keineswegs, seit wann wir denn diesen Erreger beheimaten.

Vielleicht ist „plötzlich“ im Spiegelartikel also gar nicht plötzlich, sondern Ausdruck einer Unterstellung, die dem Frager vielleicht gar nicht bewusst war, nun aber möglicherweise viele Leser mit in die Irre führt. Denn dass EHEC-Erreger dort jetzt nachgewiesen werden, sagt ja noch nichts darüber, seit wann sie dort sind. Das Problem ist aber viel größer, als die mögliche Fehlinterpretation beim Fund von EHEC-Erregern in weiteren Gewässern: Es geht um die Tatsache, wonach wir meistens nur finden, was wir suchen und meistens auch nur dort, wo wir es suchen – und last, not least auch nur dann, wann wir es suchen!

Deshalb kann es fatale Folgen haben, automatisch aus der Chronologie der Funde – hier der EHEC-Funde – eine Chronologie der Ereignisse herzuleiten. Bei Berücksichtigung dieser Tatsachen, würde ein Fund wie in Mecklenburg-Vorpommern andere Fragen aufwerfen, statt die üblichen Spekulationen nach sich zu ziehen. Denn wenn man genauer hinhört, suggeriert der Frager ja bereits viel mehr, nämlich dass es einen zeitlichen und räum- lichen Zusammenhang mit den Funden in Niedersachsen gibt und dass der Erreger von dort nach Mecklenburg-Vorpommern gelangt ist. Theoretisch ist aber auch das Gegenteil möglich! Durch solche Schnell- und letztlich Fehlschlüsse waren im Mai die spanischen Gurken an den EHEC-Pranger geraten: Nicht nur, dass sie erst zu potenziellen EHEC-Verbreitern werden konnten, nachdem sie selbst mit EHEC-Erregern kontaminiert worden waren. Zudem stellte sich heraus, dass zwar EHEC-Erreger auf den Gurken nachgewiesen worden waren, diese Erreger aber nicht zum Stamm E.-coli-O104:H4 zählten und auch gar keine Krankheitssymptome bei Menschen ausgelöst hatten.

Ursachenforschung - weitgehend Fehlanzeige

Die vielen Spekulationen um den aktuellen EHEC-Ausbruch offenbaren somit auch ein weiteres grundsätzliches Problem: Meistens wird nicht unterschieden zwischen der Entstehung eines Erregers, also den Umständen, die zu seiner Selektion führen einerseits* und dessen Vermehrung und Verbreitung andererseits. Dass nun mit Sprossen erstmals Pflanzen als wesentlich bei einer Erkrankungswelle mit EHEC identifiziert worden sind, ließe sich somit damit erklären, dass sie nach erfolgter Kontamination ein für die Erreger günstiges Vermehrungsklima boten und dadurch zu Verbreitern des Erregers werden konnten. Genau diese Theorie, wonach nachträgliche Kontamination eine mögliche Erklärung für die EHEC-Funde auf ihren Gurken sein könnte, hatte spanischen Erzeugern, Händlern und Politikern im Mai noch Häme beschert. Zwar ist der Erreger EHEC O104:H4 inzwischen auf Sprossen nachgewiesen worden, aber weiterhin ist unbekannt, ob allein sie zur Verbreitung der Erkrankungen beigetragen haben. Vor allem ist völlig offen, wo der neue, aggressive E.-coli-Stamm O104:H4 seinen Ursprung hat, das heißt, wie er entstanden ist. Spätestens seit vor einigen Jahren ein aggressiver EHEC-Erreger in Rohmilch nachgewiesen wurde, gelten Rinder quasi als das „natürliche Erregerreservoir“. Darauf dass die Ursache weniger durch die Rinder selbst als durch das jeweilige landwirtschaftliche System verursacht wird, verweist eine Studie, wonach die nicht artgemäße Rinderfütterung mit Kraftfutter die Entstehung neuartiger Coli- Keime begünstigt.** Ganz abgesehen davon weist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nach einer Analyse der DNA-Sequenz darauf hin, dass EHEC O104:H4, der zum Erregertyp EaggEC zählt, durch Mutation im menschlichen Darm entstanden sein könnte: „Das Reservoir für EaggEC sind nach derzeitigem Kenntnisstand Menschen. (...) Das Nationale Referenzlaborato­rium für E. coli am BfR hat den Erregertyp EaggEC bisher nicht bei Tieren und in Lebensmitteln finden können. Auch Auswertungen aus der Literatur geben keine Hinweise darauf, dass der Stamm bislang in Lebensmitteln und Tieren vorkam.“

Bauernhöfe statt Agrarfabriken


Unabhängig davon, ob der für den aktuellen Ausbruch ursächliche EHEC-Erreger im Menschen entstanden ist oder sich sein Ursprung gar nicht klären lässt, gilt es, die Rahmenbedingungen zu ändern, die die Entstehung aggressiver Erreger begünstigen oder gar direkt provozieren und sich nicht darauf zu beschränken, mit vorhandenen Risiken vorsichtig umzugehen. Am 24. Juni forderte der Leiter des BfR, Andreas Hensel, in einem Interview mehr Küchenhygiene ein: „Küchenhygiene ist zentral, vor allem das Händewaschen am Anfang.“ Nichts spricht dagegen, die deutsche Hausfrau und den deutschen Hausmann in die Pflicht zu nehmen, besonders, wenn Rohes und Gekochtes gleichzeitig zubereitet wird. Aber das entbindet verantwortliche Wissenschaftler wie Politiker nicht von ihrer Pflicht, sich gleichzeitig vehement für Ursachenvermeidung einzusetzen! Denn nicht zuletzt sollte jeder größere Krankheitsausbruch mit aggressiven Keimen Anlass sein, endlich das Vorsorgeprinzip ernst zu nehmen. Das heißt, Risikoursachen da zu minimieren, wo wir um ihre Entstehung wissen. Das besondere Drama liegt darin, dass inzwischen die „Wohnhäuser“ der Tiere in der Intensivtierhaltung als Brutreaktoren für gefährliche Keime ebenso zur Gefahr werden können, wie die Krankenhäuser der Menschen (siehe Link unten).

Die reale Gefahr der Selektion auf immer aggressivere Erreger sollte auch nicht durch ganz andere Spekulationen relativiert werden. Natürlich kann auch ich auf die Frage, ob ausgeschlossen werden kann, dass der EHEC-Erreger O104:H4 beabsichtigte oder unbeabsichtigte Folge einer gentechnischen Manipulation oder eines B-Waffenangriffs ist, nicht mit „Nein“ antworten. Aber – so gefragt – sollte niemand vergessen hinzuzufügen: Selbst wenn das in diesem bzw. in einem Einzelfall zutreffen sollte, ändert sich nichts an der Notwendigkeit, aus der Massen- und Intensivtierhaltung auszusteigen: Bauernhöfe statt Agrarfabriken!

* Siehe auch „Bakterien: Warum es ohne sie nicht geht“

** Couzin, Jennifer (1998): Cattle Diet Linked to Bacterial Growth.Science Vol. 281 no. 5383 p. 1578

Beitrag aus dem Slow Food Magazin 04/2011. Den PDF-Download und weitere Beiträge finden Sie hier.

Zur Autorin: Dr. Anita Idel war von 2005 bis 2008 Lead-Autorin des Weltagrarberichtes (IAASTD). Die Tierärztin und Mediatorin ist Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin 1983, des Gen-ethischen Netzwerks 1986 und der Gesellschaft für Ökologische Tierhaltung 1991. Seit 1986 hält sie an der Universität Kassel Seminare zu den tiergesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Folgen der Agro-Gentechnik. Mit ihrem 2010 erschienenen Buch „Die Kuh ist kein Klima-Killer“ belegt sie die Potenziale nachhaltiger Weidewirtschaft für Welternährung, Natur- und Klimaschutz.

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