Genussführer Interview Wirtin Sachsen

21.11.2013 - Ute Striegler führt eines der 300 Gasthäuser, die im jüngst erschienenen Slow Food Genussführer Deutschland 2014 empfohlen werden. Manfred Kriener sprach mit der Wirtin aus Sachsen über die Slow Food Kriterien, gutes Handwerk und die manchmal schwierige Kooperation mit regionalen Erzeugern.

"Richtige Köche müssen auch ein Tier zerlegen können!"

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Slow Food: Frau Striegler, Ihr „Restaurant Bock“, unweit von Chemnitz, ist in den Slow Food Genussführer aufgenommen worden. Welche Reaktionen gab es bisher?

Ute Striegler: Zunächst haben wir selbst uns gefreut und die Stammgäste haben uns gratuliert. Inzwischen kommen auch Leute mit dem Slow Food Führer in der Hand ins Restaurant. Oder Sie sagen, dass sie uns im Führer entdeckt haben.

Dann ist die Schnecke an der Wirtshaustür auch ökonomisch ein Gewinn?

Ich glaube schon. Die Gäste werden auf uns aufmerksam und zwar genau solche, die eine ehrliche, frische und regionale Saisonküche suchen.

Regionalität gehört zu den wichtigsten Kriterien, um von Slow Food empfohlen zu werden. Sie zelebrieren sie geradezu. Neben Fleisch und Gemüse stammen sogar die Möbel aus der Region, und auch der Kaffee wird vor Ort geröstet. Woher kommt diese Begeisterung?

In unserer Region wird noch vieles handwerklich und vor Ort hergestellt. Diesen Produzenten habe ich mich verschrieben, die darf man nicht vergessen, wenn man ein Restaurant betreibt. Ich bin immer auf der Suche nach neuen spannenden Produkten.

Sie müssen die regionalen Erzeuger nicht nur finden, sondern auch noch erziehen? Die produzieren ja nicht automatisch mundgerechte Happen in Topqualität.

Wir müssen sie sensibilisieren, das ist gelegentlich ein Kraftakt. Man muss mit den unterschiedlichsten Direktvermarktern zusammenarbeiten. Manchmal geht es dabei nur um fünf Hähnchen, da sind die auch nicht begeistert. Es sind meist kleinere Höfe im Umfeld von 50 bis 60 Kilometern.

Die liefern ihnen statt pfannenfertiger Schnitzel halbe und ganze Tiere. Was bedeutet das für Ihre Küche?

Getreu unserer Philosophie nimmt unser Team diese Herausforderung an und hat auch noch Spaß dabei. Da muss man sein Handwerk als Koch beherrschen, und sich auch etwas einfallen lassen. Nehmen wir die Hähnchen. Die Brust ist besonders beliebt. Aber was mache ich mit dem Rest? Da suchen wir nach Verwertungsideen. Patrick, mein junger Koch, fragt auch mal die Oma, wie die es früher gemacht hat. Vor 25 Jahren musste man bei uns im Osten ganz anders kochen.

Wie denn?

Es gab nicht nur Edelprodukte, die Köche mussten auch aus wenig etwas Anständiges zaubern

Was machen Sie heute, wenn die Qualität eines Regionalerzeugers nicht stimmt? Hand aufs Herz: Kaufen Sie auch mal fünf Hähnchen vom Edeka?

Wer sagt mir denn, dass beim Supermarkt die Qualität gut ist. Wenn die Qualität nicht stimmt, müssen wir mit den Zulieferern reden. Das ist das Wichtigste. Immer wieder reden und gemeinsam nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen. Was meinen Sie, wie mich der Bauer angeguckt hat, als ich ihn vor Jahren das erste Mal nach Fütterung und Antibiotika gefragt habe. Was will die denn, dachte der. Heute sprechen wir ganz offen über solche Dinge – ein langer Prozess, der immer weitergeht.

Gute Tierhaltung ist vielen Gästen wichtig. Niemand will Megaställe, aber alle wollen Fleisch essen. Wäre es nicht Zeit, die oft riesigen Fleischportionen konsequent zu reduzieren?

Bei uns sind die Fleischportionen so groß, dass der Gast seinen Genuss hat, satt und zufrieden ist. XXL-Portionen servieren wir nicht. Wir bieten den Gästen außerdem feine vegetarische Alternativen. Mir ist vor allem wichtig, dass man das ganze Tier verwertet und wenig wegwirft. Wenn wir Lämmer bekommen, dann gibt es Lammnacken als Vorspeise, dann machen wir Wickelbraten, wir bieten Kurzgebratenes an und schmoren die Keule. Wir versuchen also das ganze Tier zu verarbeiten. Aber wo lernen das die Köche? Eine gute Ausbildung ist entscheidend. Die jungen Leute müssen wieder das Handwerk lernen und nicht nur Tüte aufschneiden, Wasser dazu, zweimal umrühren und schon ist die Sauce fertig. Richtige Köche müssen auch mal ein Tier zerlegen können.

Kennen Sie eigentlich die Lebensbedingungen der Nutztiere, die sie verarbeiten oder verlässt man sich auf Bauer XY, weil der so ein netter Kerl ist?

Ich kenne sämtliche Lieferanten, und ich bin oft vor Ort und sehe, wie die Tiere gehalten werden. Sehr eng arbeiten wir mit dem Guidohof zusammen, wo unser Gemüse herkommt und wo wir immer wieder interessante Rezepte für die vegetarische Küche bekommen. Heute habe ich mit meinem Jäger gesprochen, von dem ich geschossenes Wild kaufe, also kein Wild aus dem Gehege. Dazu habe ich einen Fleischer meines Vertrauens, der mit vielen Züchtern der Region zusammenarbeitet und ein engagierter Handwerker alten Schlages ist.

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Ein anderes wichtiges Kriterium für Slow Food ist das saubere, frisch zubereitete Essen. In den meisten Restaurants werden aber Halbfertig- und Fertigprodukte eingesetzt. Zahlt es Ihnen der Gast zurück, wenn Sie alles selber machen?

Ganz ehrlich: leider nein! Und manche Leute schmecken nicht mal den Unterschied zwischen Fertigprodukten und Frischeküche.

Und Sie machen’s trotzdem?

Wir machen das, weil wir uns dem Gedanken einer ehrlichen, authentischen Küche verschrieben haben. Ich möchte meine Gäste mit sauberen Produkten begeistern. Wir können dann auch auf Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten gezielt reagieren. Aufwand und Preis auf der Speisekarte stehen dabei nicht immer im richtigen Verhältnis. Ich kann hier ja keine 40 Euro für ein Menü verlangen.

Wenn Sie müde sind von der Arbeit, denken Sie dann nicht manchmal: Das Gemüseparieren hätte ich mir sparen können. Bei einem Convenience-Produkt ist alles fix und fertig.

Man kann es einfacher haben, klar. Dann kommt man aber nicht in den Genussführer. Dessen Aufgabe ist es, die engagierten Wirte herauszuheben.

Zum Schluss ein wenig Zukunftsmusik: Wie wird sich die deutsche Gastronomie entwickeln? Spüren Sie bei den Kollegen ein Umdenken? Oder geht der Trend weiter zum standardisierten industriellen Fertigfutter?

Es sind auch die Gäste, die die Zukunft mitbestimmen. Ich sehe eine Zweiteilung der Gastronomie. Bei den einen zählt nur die schwarze Zahl unterm Strich. Und dann gibt es die Gastronomen aus Leidenschaft, die sich richtig anstrengen. Das Gleiche haben wir auch auf Lieferantenseite. Bei vielen Jüngeren, wie bei meinem Kartoffelbauern, spüre ich, dass sie sich der Verantwortung stellen: Wie gesund und nachhaltig produzieren wir? Es ist die Aufgabe von Slow Food, diese Guten zu unterstützen.

Fotos von oben nach unten: Patrick Schulze und Sabrina Bögner zerlegen ein Lamm von der Schäferei Götze aus Altmittweida; Bärlauchcrêpes.  | © Ute Striegler

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Das Interview mit Ute Striegler (links, © Restaurant Bock) ist erschienen im aktuellen Slow Food Magazin 6/2013. Den Eintrag im Genussführer zum Hotel & Restaurant Bock findet man auf Seite 331.


Mehr Informationen:

Der Slow Food Genussführer Deutschland 2014

Interview mit dem Leiter der Slow Food Genussführer-Kommission, Wieland Schnürch

Slow Food Genussführer auf der Frankfurter Buchmesse

"Slow Food Genussführer hat das Potenzial zum Bestseller!"

Genussführer-Presseschau: „Liebevoll, appetitlich, bombig“

Hotel & Restaurant Bock in Limbach-Oberfrohna

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Slow Food Deutschland e.V. (Hrsg.):
Slow Food Genussführer Deutschland 2014

ca. 344 Seiten, 12cm x 21,5cm
ISBN 978-3-86581-439-5
19.95 EUR, 20.60 EUR (A), CH 27.90
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Erhältlich auch als E-Book

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