30 Jahre Slow Food: Warum die Genießer politisch geworden sind.

Seit 30 Jahren tritt Slow Food für gute, saubere, faire Lebensmittel ein. Was ist besser geworden auf dem Teller? Die Slow-Food-Chefin sagt, wann sie in den Discounter geht.
Bamberger Hörnla       -  Ein Slow Food-Produkt: Bamberger Hörnla.
Foto: Stefan Abtmeyer | Ein Slow Food-Produkt: Bamberger Hörnla.

Jedes Jahr im Dezember lädt Slow Food weltweit zum Terra Madre Tag. Rund um den Globus wird an diesem Tag die Bedeutung des lokalen Essens und das Recht aller Menschen auf den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln gefeiert - mit hunderten Veranstaltungen in 170 Ländern. Das Ziel: die lokale Lebensmittelwirtschaft stärken.

Slow Food Deutschland feiert den Terra Madre Tag am Donnerstag, 12. Dezember, in Würzburg - mit einem Markt und einer Podiumsdiskussion zu Biodiversität. Slow-Food-Vorsitzende Dr. Ursula Hudson diskutiert dann mit Gästen, welche Folgen der Verlust von Arten für unsere Ernährung hat - und wie sich wiederum unsere Art, Lebensmittel zu erzeugen und zu essen, auf die Natur und die Vielfalt auswirkt. Was sind gute Lebensmittel? Und gibt es die auch im Discounter. Ein Gespräch mit der Slow-Food-Chefin.

Seit 2011 Vorsitzende von Slow Food Deutschland: Kulturwissenschaftlerin Ursula Hudson.
Foto: Slow Food/Niehaus | Seit 2011 Vorsitzende von Slow Food Deutschland: Kulturwissenschaftlerin Ursula Hudson.

Frau Hudson, wenn Sie an Franken denken – was fällt Ihnen da kulinarisch ein?

Ursula Hudson: In erster Linie Wein, muss ich gestehen. Da denke ich sofort an die Entwicklungen in der Weinwelt in den letzten Jahren, die absolut erfreulich waren und einfach großartig. Und dann weiß ich natürlich, dass es in Franken relativ viele Arche-Passagiere gibt. Also Produkte, die in der schnellen, alltagsgegenwärtigen Lebensmittelwelt keinen Platz finden und nur noch selten erzeugt werden und mit deren drohendem Verschwinden auch besondere Anbauweisen – wie Streuobstwiesen – oder handwerkliches Wissen verloren geht. Um die kümmert sich Slow Food sehr, weil wir guten Geschmack und Vielfalt auf den Teller bringen wollen.

Kann man Sie mit einer fränkischen Bratwurst oder einem Schäufele erfreuen?

Hudson: Durchaus, die gehören ja unbedingt in die Kategorie der regional typischen Gerichte. Wenn dann vor dem Schäufele noch ein glückliches Tierleben und ein respektvoller Tod lagen, esse ich das sehr gerne. Wenn die Tiere aus einer industriellen Großhaltung kommen mit den entsprechenden Folgen, esse ich es nicht. Ich bin eine selektive Fleischesserin, die selten Fleisch isst. Aber immer dann gerne, wenn sie genau weiß, woher es kommt.

Gut, sauber, fair ist seit 30 Jahren das Motto von Slow Food. Was davon ist das wichtigste? Was ist das größte Problem?

Hudson: Einen Punkt hervorzuheben, das geht nicht. Sie hängen alle drei zusammen. Das größte Problem ist die Fairness, also die gerechte Bezahlung und Wertschätzung von Landwirten und Lebensmittelhandwerkern für ihre Produkte und ihre Arbeit. Und dann natürlich die Sauberkeit bei der Herstellung. Die Lebensmittelindustrie macht uns viel vor und gaukelt uns vermeintliche Vielfalt vor. Es gibt so wahnsinnig viele hochverarbeitete Lebensmittel, das ist für eine Slow-Food-Seele grausig.

Es gibt inzwischen so viele Siegel und Labels, auch für Fairness – als Verbraucher ist man zunehmend überfordert beim Einkaufen.

Hudson: Das ist in der Tat so. Es gibt keine einfachen Antworten darauf. Bei den Siegeln ist ja das Problem, dass wir sie überhaupt brauchen. Die Distanz zwischen uns Verbrauchern und den Erzeugern ist so groß geworden, dass wir uns auf Aussagen Dritter verlassen müssen, ob Qualität und Herstellung stimmen. Idealerweise schafft man selbst möglichst große Nähe zu möglichst vielen Produkten, die man isst. Das kann man auch tun, wenn die Dinge von weiter her kommen, die aber zum Teil schon fester Bestandteil unserer Küchen sind: Orangen, Zitronen, Mandarinen wachsen nun zwar wirklich nicht bei uns. Aber es gibt wunderbare Projekte, die man unterstützen kann. Ansonsten ist es eine Frage des Vertrauens, man muss sich auf Siegeln verlassen.

Also besser Siegel als nichts?

Hudson: Sie sind eine Brücke in eine bessere Essenswelt. Am besten wäre es, es gäbe immer gerechte Preise, fairen Handel, saubere Erzeugungsverhältnisse und man bräuchte Siegel nicht. Die Gefahr beim Siegel ist, dass man das Problem dahinter nicht mehr sieht – zum Beispiel die Überfischung sieht man nicht mehr hinter dem Fischsiegel. Das Biosiegel befreit einen von der Last, als Verbraucher die Produktionsweise kennen zu müssen.

Sie sagen: möglichst große Nähe zum Produzenten. Ist denn Regionalität immer die Lösung, immer gut?

Hudson: Nein, das ist nicht grundsätzlich die Lösung. Wenn das Nahe an die Saison, an das Essen in den Jahreszeiten, gekoppelt ist, dann wird es gut! Wenn dann noch eine ökologische Bewirtschaftungsweise die Grundlage ist, dann ist es richtig gut. Da müssen wir hin. Da kann man als Einzelner, je nachdem wo man lebt, schon sehr viel machen. Nah, saisonal, biologisch produziert. Und dann muss man akzeptieren, dass ein in einer deutschen Lagerhalle unter klimatisierten Bedingungen sechs Monate lang aufbewahrter regionaler Apfel auch keinen besseren ökologischen Fußabdruck mehr hat als ein auf dem Schiff transportierter aus Übersee. Und die Tomate aus dem beheizten oberbayerischen Treibhaus ist gegenüber einer Freilandtomate, in Südeuropa reifte, auch nicht besser. Nur regional ist auch nicht richtig – weder für den Fußabdruck, noch für den Geschmack.

An die Herstellungsbedingungen zu denken, reicht jedenfalls nicht mehr. Jetzt muss man als "guter" Verbraucher auch noch an den Klimawandel denken.

Hudson: Es ist komplex, aber durch diese große Bedrohung wird es fast schon wieder einfach. Denn man muss sich einfach davon verabschieden, was man immer glaubt, um sich herum zu brauchen: die unglaubliche Angebotsfülle brauchen und nutzen wir alle nicht! Es lohnt zu überlegen: Was verbraucht am wenigsten Ressourcen? Da ist man relativ schnell bei möglichst unverarbeiteten, aus der Nähe kommenden, ökologisch produzierten Produkten, die man selber in der Küche bearbeitet. Wenn man gar nicht kocht, wird es schwierig: Da kommen die Verpackungen und die industrielle Herstellung dazu.

Also steht ganz vorne dran: selber kochen?

Hudson: Absolut. Wenn man die Souveränität über das behalten will, was man zu sich nimmt, muss man selber kochen.

Was man oft hört: Nur noch Produkte aus der Region, nur noch ökologisch produziert – das reicht nicht, da würden wir nicht satt werden.

Hudson: Wir produzieren weltweit im Moment so viele Lebensmittel und schmeißen so viel davon weg, dass man zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. Ökologische Produktion hat etwas geringere Erträge, ja – aber auf die Zeit besehen mindestens die gleich Kapazität, weil die Böden nicht auslaugen und ihre Fruchtbarkeit nicht verlieren.

Rarität: Hutzelbirnen von den Baumfeldern aus Fatschenbrunn
Foto: Matthias Braun | Rarität: Hutzelbirnen von den Baumfeldern aus Fatschenbrunn

Stichwort Lebensmittelverschwendung: Was machen Sie am liebsten mit altem Brot?

Hudson: Erst mal geht das in die ganz normale bayerische Knödel-Arme-Ritter-Brösel-Produktion! Und mit dunklerem Brot kann man gut einen italienischen Brotsalat machen. Und wenn es gar nicht mehr geht, wird es an die Ziegen und Schafe des Nachbarn verfüttert.

Was kaufen Sie beim Discounter?

Hudson: Nichts. Ich geh da nicht hin, ich vermeide das. Wobei ich mir jetzt mal die Lidl-Öko-Schiene anschauen möchte, da ich zuletzt so viel darüber gelesen habe.

Ist das nicht gut, dass die Discounter jetzt auf Bio machen?

Hudson: Ich finde es noch ambivalent. Auch wenn es bei einigen jetzt sogar Bioland und Demeter gibt, vieles der Bio-Angebote ist „EU-bio“ und das muss man nicht so ernst nehmen. Und bei Discounter denke ich immer: Irgendjemand zahlt den Preis. Und wenn es nicht der Kunde ist –wer dann? Klar ist: Discounter sind die Realität der meisten essenden Menschen bei uns. Also ist es gut, wenn es dort ökologisch produzierte Produkte gibt.

Slow Food gibt es nun seit 30 Jahren. Was ist in den vergangenen drei Jahrzehnten auf unseren Tellern, im Kühlschrank besser geworden? Hat sich die Zielsetzung verändert?

Hudson: Es geht immer noch darum, die Vielfalt zu erhalten und zu fördern. Was anders geworden ist: Slow Food ist über den Tellerrand hinaus sehr viel engagierter geworden in allen Bereichen, die die Lebensmittelwelt ausmachen. Slow Food ist sehr viel politischer geworden. Wir haben beispielsweise ein kleines, aber sehr fittes Büro in Brüssel.

Gemeinhin hat man ja die Vorstellung: Slow Food, das sind die Genießer, die es sich leisten können und exklusive Kochkurse besuchen.

Hudson: Das ist leider weit verbreitet. Aber gute Karotten, gute rote Beeten, gutes Brot – darum geht es.

Der Sennfelder Stil: Ein Mangold, den es so nur in Sennfeld gab und fast nicht mehr gibt.
Foto: Hans-Werner Bunz | Der Sennfelder Stil: Ein Mangold, den es so nur in Sennfeld gab und fast nicht mehr gibt.

Lesen Sie hier: Wie der Mangold aus Sennfeld zum Slow-Food-Gemüse wurde

Wenn Slow Food politischer geworden ist – was sagen Sie zu den jüngsten Bauernprotesten?

Hudson: Ich finde das sehr grenzwertig. Auf der einen Seite kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die Bauern landauf, landab verunsichert sind. Es wird plötzlich sehr viel von ihnen gefordert und sie stehen im Zentrum einer öffentlichen Diskussion, an der sie sich allerdings lange Zeit nicht beteiligt haben. Durch eine nicht unbedingt sinnhafte, das heißt nicht zukunftstaugliche Agrar-Politik sind sie da hineingedrängt worden.  Was die Landwirte auf den Bauernschulen und Universitäten lernen ist vor allem: Rohstoffproduktion für den Weltmarkt. Wenn jemand in diesem System steckt und viel hineininvestiert hat, kann er nicht plötzlich reagieren und von heute auf morgen zum Beispiel auf Bio umstellen.

Und auf der anderen Seite?

Hudson: Sich einfach hinzustellen, dringend notwendige Umweltschutzmaßnahmen abzulehnen, sich gegen das Einhalten der Nitrat-Grenzwerte zu wehren und dann noch auf die Städter, die ja auch ihre Kunden sind, zu schimpfen – haben diejenigen der Landwirte, die das tun, den Knall nicht gehört?

Zum Schluss zurück auf den Teller . . . Gibt es etwas, was Sie nie essen würden?

Hudson: Ich habe nie Frösche gegessen, weil ich meine Kindheit und Jugend an Tümpeln verbracht und eine persönlich intensive Beziehung zu Fröschen habe. Tintenfisch esse ich auch überhaupt nicht mehr, seit ich ein wunderbares Buch über sie gelesen habe. Sie sind so viel klüger als wir. Bei tierischen Produkten bin ich sowieso sehr zurückhaltend.

Ein Gericht Ihrer Kindheit, das Sie vermissen? An das Sie besondere Erinnerungen haben?

Hudson: Sehr einprägsam: salzige Mehlspeisen! Zum Beispiel fingerdicke Kartoffelnudeln, die man in der Pfanne herausbrät. Oder ein Köhleressen, das ich ganz großartig finde: alte, geriebene Kartoffeln, die man in der Pfanne erst ohne und dann mit Fett bröselig werden lässt. Und was es selten gibt und mir wirklich abgeht, sind ganz feine „Auszogene“. Sie wissen, was das ist? Hefegebäck, das in das heiße Fett kommt und dann so eine große Blase wirft. Wenn die hauchdünn sind, ist das was Großartiges.

Dann, letzte Frage an die Vorsitzende des Vereins für langsames Essen: Was ist Ihr liebstes schnelles Gericht? Wenn wenig Zeit ist, was kochen Sie sich?

Hudson: Immer das, was da ist: Gemüsepfanne mit Reis. Oder mit Nudeln. Auf jeden Fall kommt kein schnelles Fleisch in die Pfanne.


Autorin: Alice Natter

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