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"Es war einmal der Bauer", Kommentar zur Entwicklung der deutschen Landwirtschaft von Sebastian Beck (Süddeutsche Zeitung, erschienen am 30. Juni 2011)

1.7.2011 - Wer die Agrarwirtschaft der Zukunft schon heute besichtigen will, der muss nur einmal durch Niedersachsen touren: Maisfelder, Biogasanlagen und Mastställe bestimmen dort das Landschaftsbild. Allein im Kreis Cloppenburg kommen auf 157 000 Einwohner mehr als 1,6 Millionen Schweine; im Emsland sind es 312 000 Einwohner und 33 Millionen Hühner. Als im vergangenen Frühjahr im Landkreis Diepholz ein Bauer einen Stall für 3200 Milchkühe errichten wollte, da wurde es sogar dem niedersächsischen Agrarminister Gert Lindemann zu viel: „Das ist eine Dimension, die mit bäuerlicher Landwirtschaft nichts mehr zu tun hat.“

Leider kommt diese Einsicht viel zu spät. Denn gerade in Norddeutschland hat die Landwirtschaft in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten einen beispiellosen Wandel hin zu einem Industriezweig durchgemacht. Die überkommene Bindung des bäuerlichen Wirtschaftens an Grund und Boden ist durch weltweite Logistikketten abgelöst worden, die auf ununterbrochenen Nachschub angewiesen sind: Mit Hilfe von Futtermitteln aus Übersee werden Rinder, Schweine und Hühner immer schneller und vor allem billiger zur Schlachtreife gemästet. Nur so lassen sich Hähnchenbrustfilets zum Kilopreis von fünf Euro in die Tiefkühltruhen der Discounter bringen.

Wie der Sojaschrot in Brasilien erzeugt wird, unter welchen Bedingungen die Tiere in Deutschland ihr Dasein fristen und wohin schließlich deren Gülle gekippt wird – all das wollen die Verbraucher lieber nicht so genau wissen, weil ihnen sonst der Appetit auf Grillfleisch und Leberkäse vergehen würde. Nur manchmal schrecken sie auf, wenn Warnungen vor Gammelfleisch, Dioxin in Eiern oder Bakterien im Gemüse die Runde machen: Denn das sind die Momente, in denen deutlich wird, dass mit den Großstrukturen in der modernen Agrar- und Lebensmittelindustrie auch die Risiken eine neue Dimension angenommen haben.

Wenn der Deutsche Bauernverband seinen Verbandstag an diesem Donnerstag und Freitag in Koblenz unter das Motto „Wir schaffen Werte“ stellt, dann kann man schon einmal fragen, welche Werte damit gemeint sind – und wer bitte ist „Wir“? Denn in Wirklichkeit herrscht in der Branche ein brutaler Verdrängungswettbewerb, dem vor allem die kleinen Familienbetriebe zum Opfer fallen.Allein im vergangenen Jahr hörten vier Prozent der deutschen Milchbauern auf, weil sie den ruinösen Preiskampf nicht mehr mitmachen konnten oder wollten. Es gibt mittlerweile selbst in Bayern Dörfer ohne einen einzigen Bauern. Das ist nicht nur ein ökonomischer, sondern vor allem ein kultureller Bruch, wie es ihn auf dem Land seit der Bauernbefreiung nicht mehr gegeben hat. Die Wenigen, die es sich leisten können, bauen sich draußen auf freier Flur ihre voll automatisierten Monsterställe, hundert Meter lang und von einer einzigen Arbeitskraft samt Traktor bequem zu bewirtschaften. Mit der romantischen Vorstellung vom bäuerlichen Familienbetrieb hat das nicht mehr viel zu tun.

Dabei ist die Landwirtschaft – wie Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner immer wieder betont – durchaus eine  Schlüsselbranche der Zukunft. Nur leider wird sie fast ganz ohne Bauern auskommen. Schon jetzt arbeiten in Deutschland nur noch zwei Prozent der Erwerbstätigen in dem Gewerbe, Tendenz sinkend. In modernen Ställen haben längst die Roboter das Melken übernommen; bald werden auch auf den Feldern computergesteuerte Maschinen mit ihren Sensoren auf Jagd nach Unkraut und Schädlingen gehen. All das muss nicht immer zum Nachteil von Pflanzen und Tieren sein. Profitieren werden davon aber vor allem finanzstarke Investoren, die sich teure Technik leisten können. Schon jetzt kontrollieren in der Geflügelindustrie nur wenige Unternehmer die gesamte Produktionskette: Sie schließen mit Landwirten Zulieferverträge ab und diktieren ihnen so auch die Preise.  

Die Stimmung der Verlierer unter den Bauern schwankt angesichts solcher Entwicklungen zwischen Wut und Verzweiflung. Weil sie sich vom allzu industriefreundlichen Bauernverband verraten fühlen, haben sie sich in Organisationen wie der „Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft“ oder im „Bundesverband Deutscher Milchviehhalter“ zusammengeschlossen. Doch sie sind zu schwach, umden Konzentrationsprozess zu bremsen oder Einfluss auf die Agrarpolitik der EU zu nehmen: Dabei hat Brüssel mit seinem absurden Subventionssystem in den vergangenen Jahren die rentablen Großbetriebe nur nochweiter gestärkt. An dieser Politik wird sich aller Voraussicht nach wenig ändern, zumal Kommissionspräsident José Manuel Barroso nun die Beihilfen für den ländlichen Raum streichen will, die vor allem dem Umweltschutz zugute kamen.

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Die traditionelle bäuerliche Landwirtschaft wird deshalb in einigen Jahren allenfalls noch in Nischen überleben: Biobauern und Direktvermarkter, sie haben gute Chancen sich zu behaupten, auch dank ihrer Kundschaft. Viele andere müssen weichen – oder wachsen, wie jener Milchbetrieb bei Diepholz: Nach Protesten soll der neue Stall jetzt nur noch für 1600 Tiere ausgelegt werden. Das ist das Fünfzigfache eines durchschnittlichen Hofs in Bayern. 

Bild: Kühe in traditoneller bäuerlicher Haltung in der Oberpfalz (Bayern) | K. Heuberger

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