Interview Hintner

"Die Globalisierung macht uns zu kulinarischen Analphabeten."

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19.3.2012 - Slow Food und Sterneküche – häufig sind dies zwei Philosophien im Widerspruch. Der Südtiroler Koch Herbert Hintner (ein Stern, zwei Hauben) wird in der Kochwerkstatt auf der Slow Food Messe in Stuttgart vorführen, wie sich beide kulinarischen Ansätze überzeugend miteinander vereinen lassen. Vorab sprach der Verfechter der regionalen und saisonalen Küche Südtirols mit slowfood.de über Scheinheiligkeiten in der gehobenen Gastronomie, den Verlust der Kaukompetenz der Menschen und verriet, warum es ohne Transparenz bei Herkunft und Saisonalität nicht geht.

Herr Hintner, wie erklären Sie sich Ihren Erfolg bei der Gastrokritik? Muß man für den Stern nicht Gänsestopfleber und Hummer auf den Teller bringen?
Am Anfang habe ich auch hin und wieder solche Ausflüge in die globale Welt gemacht. Aber meine Einstellung war es eher, bescheiden zu sein. Ich wollte mit dem Kochen, was es in Südtirol gibt und die traditionellen Gerichte wie Kalbskopf, Kutteln oder Käseknödel in einer kreativ-spielerischen Form neu erfinden. Aus der klassischen Ochsenmaul-Terrine mache ich beispielsweise einen Salat mit grünen Bohnen, Schlutzkrapfen werden bei neuer Konsistenz der Zutaten als Suppe zubereitet.

Die meisten Ihrer Sterne-Kollegen gehen einen anderen Weg. Warum?
Rund 90 Prozent machen es anders. Es herrscht noch eine große Scheinheiligkeit in der europäischen Gastronomie bezüglich der Regionalität, nicht nur in der gehobenen Gastronomie. Alle schreiben zwar „regional“ auf die Karte, aber es stimmt oft nicht. Wenn ich kein Lamm in der erforderlichen Qualität aus der Region bekomme, dann schreibe ich nicht „regional“ auf die Speisekarte. Am wichtigsten bei der Herkunft ist doch die Transparenz vor dem Gast! Man muss jedoch auch sagen, dass in einer großen Stadt der Aufwand für einen Koch sehr groß ist, sich ein zuverlässiges Netzwerk an guten Lieferanten aufzubauen, um saisonal und regional zu kochen. Oft mangelt es aber auch an Produktkenntnissen, was die Tradition anbelangt. In Norditalien werden Sie in einem Restaurant kaum noch eine selbst gemachte Pasta essen.

Das klingt sehr pessimistisch, was den künftigen Stellenwert der Regionalität in der Gastronomie anbelangt.
Nicht ganz. Es gibt mittlerweile auch einen Hoffnungsschimmer, denn immer mehr neue und junge Köche bemühen sich ernsthaft darum, Netzwerke mit lokalen Lieferanten aufzubauen. Sie sprechen beispielsweise mit Bauern, die alte, aromatische Karottensorten für sie anbauen und machen sich die Mühe, mit ihren lokalen Lieferanten die gegenseitigen Bedürfnisse zu klären.

Warum setzen Sie selbst so radikal auf Regionalität? Gab es hier ein auslösendes Ereignis, eine besondere Erkenntnis?
Ich bin viel in der Gastronomie Europas herumgekommen, ganz besonders als ich für Italien sechs Jahre Präsident der Vereinigung der Jeunes Restaurateurs d’Europe war. Es gab das ganze Jahr dieselbe globale Küche – überall! Taubenbrust, Jakobsmuschel, Gänsestopfleber … wie langweilig. Bei mir gibt es Kitzschulter, wenn Kitzzeit ist und Lammschulter, wenn Lammzeit ist.

Was sind die Herausforderungen für einen Sternekoch, der sich saisonaler und regionaler Küche verschrieben hat?
Da gibt es einige. Viele Menschen ernähren sich heute nur noch von globalem Schrott, der uns zu kulinarischen Analphabeten macht. Da gibt es auch für Slow Food noch viel zu tun, da sollte Slow Food rebellisch werden! Welcher Gast versteht denn zum Beispiel noch eine traditionelle Gerstensuppe? Die Leute sind außerdem sehr fokussiert auf Süßes und auf Weiches wie Filet oder Roastbeef. Sie drücken und pressen nur noch, sie haben das Kauen verlernt und verwechseln bissfest mit zäh. Kauen ist auch ein Geschmackssinn. Richtiges Muskelfleisch wie Schweinebrust wird deshalb in der Küche oft sehr weich gekocht, das hat mehr mit Marmelade als mit Fleisch zu tun. Ein weiteres Problem ist, dass in der Gastronomie in der Regel nur ein kleiner Teil eines Tieres gekocht wird, wir nehmen dem Bauern das ganze Tier ab und führen die Gäste ganz vorsichtig wieder ans ganzheitliche Kochen heran ohne Pfarrer zu spielen. Aus den Innereien mache ich oft den Gruß aus der Küche, Leberflan oder das Wiener Beuscherl aus Herz und Lunge. Sie essen das, es schmeckt Ihnen und hinterher sage ich, was es war.

Ist es im Winter nicht schwieriger für Sie, wenn in Südtirol nichts Frisches wächst?
Die schwierigsten Monate für mich sind der Jänner, Februar und März. Irgendwann ist dann einfach nichts mehr da. Ich kann aber in der Küche nicht auf Petersil, Basilikum oder Karotten verzichten. Um nicht das Restaurant zu schließen, weichen wir auf Alternativen für die Kunden aus. Wir ersetzten „regional“ mit „traditionell“ und leihen uns aus anderen Regionen etwas aus. Aber wir kommunizieren das, alles muss transparent sein.

Welche Botschaft möchten Sie den Teilnehmern Ihrer Slow Food Kochwerkstatt auf der Messe in Stuttgart mit nach Hause geben?
Es ist ein Stück Kultur, für sich selber zu kochen. Wir sollten uns nicht der globalen Beliebigkeit beim Essen überlassen. Und ich möchte allen Teilnehmern sagen, dass man sehr schnell lernen kann, anders einzukaufen und zu kochen. Es ist ganz einfach!

Kochen Sie mit Slow Food Produkten?
Ich teile die Slow Food Philosophie und würde zum Beispiel sehr gerne die Presidio-Produkte verwenden. Aber sie sind sehr schwer oder gar nicht zu bekommen, sie bewegen sich in kleinen Kreisläufen. Es gibt da zum Beispiel eine hervorragende Artischocke auf einer Insel in Venedig, aber die einzige Möglichkeit, sie zu kaufen wäre, runterzufahren und sie selber abzuholen. Das geht in der Praxis vom Aufwand her nicht. Aus meiner Sicht als Koch würde ich mir sehr wünschen, dass die regionalen Slow Food Nischenprodukten mobiler werden. Sonst ist es für mich ein bisschen wie in der Kirche, da wird mir etwas Unerreichbares versprochen.

Herr Hintner, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Katharina Heuberger

Ein europäischer Regionalist
Herbert Hintner stammt aus Pichl im Gsiesertal. Der 54-jährige Südtiroler ließ sich durch den Geschmacksunterricht an der Mittelschule in St. Michael (Eppan) früh für Kochkunst und Kulinarik faszinieren. Nach der Ausbildung in verschiedenen Hotels im Bozener Raum übernahm er 1982 das „Restaurant zur Rose“, das den Eltern seiner heutigen Frau, Margot Rabensteiner, gehörte.Das Paar setzte von Anfang an konsequent auf kreative regionale Küche und erwarb sich damit nachhaltig Anerkennung in der Gastrokritik. So wurde die „Rose“ 1995 erstmals mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Der Gault Millau vergab zwei Hauben, der Gambero Rosso 86 von 100 Punkten. Im Jahr 2007 folgte die Auszeichnung Veronelli Chef Patron und Hintner publizierte sein Buch „Meine Südtiroler Küche“, ausgezeichnet mit dem Mediterranean Cook Book Award. Sechs Jahre lang war der Chef der „Rose“ auch Italien-Präsident der Jeunes Restaurateurs d’Europe.

Foto: Herbert Hintner vor einem Apfelbaum der alten Südtiroler Sorte "Kalterer". | Privat

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Restaurant zur Rose
Slow Food Messe Stuttgart

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