Chef Alliance: Not macht den Geist immer auch wach

31.03.2020 - Barbara Stadler ist als Freiberuflerin Mitglied der Slow-Food-Chef-Alliance. Als Küchenmeisterin ist es ihr auf den Leib geschrieben, Rezepte zu entwickeln. Ihr Wissen teilt sie in Kochkursen sowie in Fortbildungen für Ärzt*innen und Lehrer*innen. Mit ihrem Catering beglückt sie Menschen im Landkreis Diepholz. Aus der aktuellen Not aufgrund der Corona Krise versucht sie eine Tugend zu machen. Darüber berichtet sie Slow Food.

Barbara seitlich kleiner.jpegFrau Stadler, wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?

Ich bemühe mich zunächst einmal um meine Grundsicherung und senke dort wo ich kann meine laufenden Kosten. Ich spare an vielen Stellen weiter ein, niemals aber an den Lebensmitteln (lacht). Ich habe das große Glück, wahnsinnig viel Solidarität zu erfahren. Wir leben hier wunderschön auf dem Land in einer Art Ökogemeinde im Landkreis Diepholz, in großen Häusern mit Gärten. Wir sind fast alle Selbstversorger*innen, viele von uns haben handwerkliche Betriebe und sind es gewohnt, mit wenig gut zu leben, zusammenzuhalten und uns zu unterstützen. Meine Vermieter, die eine Biobäckerei haben, verzichten beispielsweise gerade auf die Pacht meiner Gewerberäume. Dafür helfe ich zwischendurch in ihrer Bäckerei aus. Viele der Menschen, die nahe bei mir leben, kenne ich seit 40 Jahren. Das macht manches leichter.

Wie überbrücken Sie die Zeit, in der Sie sich weder in Ihren Kochkursen noch bei Ihrem Catering engagieren können?

Meine Erfahrung ist, dass Not den Geist immer auch wach macht. Und meiner ist aktuell hellwach. Ich habe viele neue Ideen. Ich habe beispielsweise damit begonnen, kurze Videos zu drehen und zeige Menschen darin, was sie mit ihren Resten und einfachen Lebensmitteln Köstliches zubereiten können. Die stelle ich bald nach und nach auf Instagram und YouTube online. Ich denke, dass gerade die Leute, die aufgrund der Corona-Krise wenig Geld zur Verfügung haben, jetzt und in nächster Zeit Antworten auf die Frage brauchen, wie sie mit wenig Mitteln super gute Sachen kochen können. Außerdem wecke ich quasi meine ganze Truhe bzw. Produkte meiner Lieferant*innen, die gerade auch nicht an die Kitas liefern können, ein. Ich bereite beispielsweise 'Ragú' vor, die echte Bologneser Soße, in die wenig Tomate dafür Herz und Schulter von Rind und Schwein kommen, und 'Bouef bourguinon' sowie Suppen, auch vegetarische. Das kommt alles in Gläser und ich plane diese dann über einen Onlineshop zu verkaufen. Ich mache also auch eine Tugend aus der Not.

Wie nehmen Sie die Stimmung innerhalb Ihres Netzwerke wahr?

Wie gesagt, innerhalb meiner Ökogemeinde ist die Stimmung unglaublich wohlwollend. Wir geben uns Zuversicht und Stabilität. Das erfahre ich auch im Austausch mit dem Slow-Food-Netzwerk. Diese Woche erst hatte ich wieder eine Telefonkonferenz mit vielen Anderen aus der Chef Alliance. Das gibt mir wahnsinnig viel. Und am Ende sind es diese Dinge, die nichts kosten, die uns am Besten tun. Ich finde es super wichtig und entscheidend, gemeinsam nach vorne zu denken. Die Menschen kochen jetzt wieder und ich sehe es auch als Aufgabe der Slow Foodies, zu appellieren “Behaltet das bei!”, selbst wenn sie es nach der Pandemie nur noch zwei Mal die Woche tun.

Was ist es, was Sie sich aktuell von Verbraucher*innen wünschen?

Unterstützt die Hofläden und die kleinen Lieferant*innen, statt alles im Supermarkt zu kaufen. Und kauft frisches Gemüse. Das muss doch gegessen werden. Dosen können lange im Supermarkt liegen, aber wenn im Hofladen niemand das Frische kauft, geht es denen schlecht. Gerade die Kleinen sollten wir jetzt unterstützen.

Welche Gräben des Lebensmittelsystems tun sich Ihrer Meinung nach gerade auf?
Unter anderem die Überproduktion. Nehmen wir beispielsweise den Spargel. Der hat bald Saison und wir merken jetzt natürlich, dass wir zu wenig Spargelstecher*innen haben. Das wirft einerseits die Fragen der Arbeitsbedingungen und -organisation etc. auf. Es zeigt aber auch, dass wir Spargel wie viele andere Nahrungsmittel inzwischen völlig überproduzieren. Vielleicht brauchen wir gar nicht so viel Spargel wie produziert wird. Wir sollten lernen bescheidener zu denken.

Was glauben Sie nehmen Menschen mit Blick auf Ernährung mit aus der aktuellen Krise?

Ich bin zuversichtlich, dass viele wieder merken werden, wie schön es ist zu kochen und miteinander zu essen. Und vielleicht erkennt so manche Familie wie schön es ist, wieder mit den Kindern an einem Tisch zu sitzen. Die Kinder feiern das richtig.

Welche Wünsche würden Sie aktuell an die Politik adressieren?

Da gibt es Einiges. Einmal abgesehen von den dringenden Veränderungen im Lebensmittelbereich, muss unser Gesundheitssystem reformiert werden. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser privatisiert sind und Gewinne erwirtschaften müssen. Da kommen wir stark an unsere Grenzen und wir merken doch jetzt, worauf es ankommt. Pflegekräfte müssen besser bezahlt und kleine Betriebe unterstützen werden. Wir Selbstständige, Klein- und Mittelständler*innen sind relevant für unser System. Es sollte außerdem für Selbstständige leichter sein, sich arbeitslos zu melden. Denn unter anderem sind wir es, die hinten runterfallen.

Rezepte

Heute hat sie unsere Rezepte-Section mit Rezepten für diverse Brühen, Boeuf bourgignon sowie Crostini mit Bärlauchbutter bereichert. Rezepte zum Nachkochen zu Hause von Barbara Stadler: >> Zu den Rezepten

Inhaltspezifische Aktionen