Edward Mukiibi: Mein Weg von bescheidenen Anfängen zu Slow Food

18.07.2022 - Edward Mukiibi, der neu gewählte internationale Slow-Food-Präsident erzählt hier seine Geschichte: Wie er zu Slow Food kam, was seinen Werdegang ausmacht. Lernen Sie ihn kennen.

DSC00156.jpgIch wurde in eine recht große Familie hineingeboren, die am nördlichen Ufer des Viktoriasees in Uganda lebte. Wie die meisten einkommensschwachen Haushalte in der Region lebten auch wir vor allem von der gemischten Landwirtschaft auf einem kleinen Stück Land, das auch den größten Teil unseres Nahrungsmittelbedarfs deckte. So kam ich schon früh mit Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung und ihrer Bedeutung in Berührung und liebte es, mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in den Garten zu gehen. Immer gab es etwas zu ernten, und gleichzeitig neu auszusäen, denn unser Garten war ein Mischgarten, den wir mit Zwischenfrüchten bepflanzten.

In der Schule war es damals üblich, einfache Vergehen wie Zuspätkommen, oder wenn wir Schüler unsere Muttersprache benutzten statt Englisch zu reden, mit Feldarbeit zu bestrafen. Wegen der Pflichten, die ich morgens zuhause zu erledigen hatte, und meiner engen Bindung an meine Muttersprache gehörte ich zu denen, die regelmäßig zur Strafe in den Schulgarten geschickt wurden. Irgendwann begann ich laut zu fragen, ob es nicht möglich wäre, uns die Gartenarbeit nicht als Strafe, sondern als sinnvolle Tätigkeit aufzugeben, damit alle Schülerinnen und Schüler lernen konnten, ihr eigenes Essen anzubauen. Ich wollte mein Wissen mit meinen Mitschüler*innen teilen und verhindern, dass Feldarbeit für sie immer nur als etwas Schlechtes galt. Natürlich stieß ich damit bei der Schulleitung auf taube Ohren, aber ich nahm mir damals schon vor, eines Tages dafür zu sorgen, dass Landwirtschaft nicht länger als Strafe missbraucht wird.

Darum habe ich 2006, nach Beginn meines Studiums an der Makerere University in Kampala, die Initiative Developing Innovations in School Cultivation (DISC) ins Leben gerufen. Mein Ziel war es, Schulen und Gemeinschaften davon zu überzeugen, die Arbeit auf dem Feld nicht als Strafe, sondern als positive, interessante und produktive Lernaktivität anzusehen. Mein Einsatz in Sachen Landwirtschaft an Schulen ließen in mir den Wunsch entstehen, die positiven Erfahrungen auf andere Bereiche auszudehnen. Ich übernahm leitende Positionen an der agrarwissenschaftlichen Fakultät und organisierte Unterstützungsprogramme für lokale Gemeinschaften. In diese Zeit an der Universität fiel eine der schlimmsten Erfahrungen meiner gesamten Laufbahn – die mir gleichzeitig den Anstoß zu einem Umdenken über Landwirtschafts- und Ernährungssysteme gab.

Als besonders engagierter Student der Agrarwissenschaften wurde ich eingeladen, an einem Projekt zur Förderung von Hybridmais-Saatgut im Bezirk Kyankwanzi mitzuwirken. Diese Hybridmaissorte galt als dürreresistent, und ich arbeitete gemeinsam mit einem Team daran, Bäuerinnen und Bauern über den Anbau dieser Sorte zu informieren und sie darin zu schulen, um ihnen so zu besseren Ernten zu verhelfen. Die hohen Erträge konnten nur erzielt werden, wenn gleichzeitig die empfohlenen synthetischen Düngemittel eingesetzt wurden. Da Bäuer*innen immer nach Möglichkeiten suchen, dem rauen Klima eine gute Ernte abzutrotzen, erwarben viele von ihnen das Saatgut und den Dünger für die Anbausaison und waren bereit, diese neue Sorte anzupflanzen – die am besten in Reinbestand gedeihen sollte, ohne traditionelle Zwischenfrucht- und Agroforstsysteme.

Aber gleich zu Beginn der ersten Pflanzperiode 2007 erlebte die Region eine extreme Dürreperiode und alle, die einen Teil ihrer Flächen ausschließlich für Maisanbau genutzt hatten, erlitten Verluste. Als ich in die Region zurückkehrte, um wie üblich gemeinsam mit den Menschen vor Ort das Projekt zu kontrollieren, zu bewerten und weitere Unterstützung anzubieten, konnte ich kaum fassen, welchen Schaden es in den betroffenen Gemeinschaften angerichtet hatte. In den Gesprächen mit den Betroffenen konnte ich ihre Enttäuschung, Frustration und Verunsicherung spüren. Das löste bei mir ein Umdenken aus zu der Frage, welches Produktionssystem für afrikanische Gemeinschaften funktionieren konnte, um Hunger, Armut, Unterernährung und andere Ungerechtigkeiten wirksam zu bekämpfen. Noch während ich die Menschen um Verzeihung bat und ihnen mein Mitgefühl ausdrückte, begann ich, über eine neue Form der Zusammenarbeit mit ihnen nachzudenken. Ich wollte ein lokal verankertes System mit aufbauen, das sich auf einheimische Ressourcen, überliefertes Wissen und traditionelle, vielfältige Anbausysteme stützte. Die Idee war, die lokalen Systeme in einer Weise zu regenerieren, die sie ebenso widerstandsfähig machte wie die Systeme der Vergangenheit.

Ich schwor mir, an dieser Entscheidung festzuhalten, auch wenn ich damals noch nicht viel über nachhaltige Lebensmittelsysteme wusste. Aber ich hatte meine Kindheitserfahrungen auf unserem kleinen Familienbauernhof, die mir halfen, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen. Ich kündigte meinen attraktiven Job mit hervorragenden Karriereaussichten im Bereich der Entwicklung von Innovationen für die Agrarindustrie, weil ich erkannte, dass dieser Ansatz für die Menschen vor Ort nicht funktionierte und stattdessen nur noch mehr Leid und Qualen in der Welt verursachte. Ich begann stattdessen Wissen darüber zu sammeln, wie wir traditionelle, ökosystembasierte, landwirtschaftliche Systeme wiederaufbauen können, und organisierte mit einer Handvoll Bäuerinnen und Bauern Schulungen zur Wiederbelebung traditioneller afrikanischer Anbaumethoden, die die Umwelt schonen, überliefertes Wissen zu Saatgutsystemen nutzen und auf lokale Hilfsmittel und Ressourcen zurückgreifen.

Vor allem aber begann ich, dieses Wissen in den von mir angelegten und betreuten Schulgärten umzusetzen. Das war ein hartes Stück Arbeit, aber mit der Zeit fanden sich immer mehr Schülerinnen und Schüler, die sich meiner Idee anschlossen und eigene entwickelten, wie zum Beispiel die Einbindung der lokalen Radiostationen als Kommunikationsmittel für unsere Zwecke. Und ich begann, nach anderen Menschen und Organisationen Ausschau zu halten, denen der Wiederaufbau von Lebensmittelsystemen auf der Grundlage von Vielfalt, regionalen Ressourcen und überliefertem Wissen ebenfalls ein Anliegen war und die in ähnlicher Weise mit den Gemeinschaften vor Ort zusammenarbeiteten oder eine Verbindung zu den Bildungsprojekten hatten, die ich an Schulen durchführte. Ich nutzte Lernportale im Internet, um meine Ideen und Erfahrungen mit anderen zu teilen – und so wurde Slow Food auf mich aufmerksam. Mein Hauptgefühl war Erleichterung, als ich erkannte, dass es noch andere Menschen gab, die sich für diese Themen interessierten, und dass ich im Kampf gegen die großen Mächte nicht allein dastand. Ein unvergesslicher Moment war meine erste persönliche Begegnung mit der Slow-Food-Bewegung und dem Terra Madre Netzwerk, als ich eingeladen wurde, an Terra Made 2008 teilzunehmen; eine wirklich beglückende, lehrreiche, verbindende, inspirierende und ermutigende Erfahrung. Sie gab mir die Kraft, nach Hause zurückzukehren und noch mehr Energie in den Aufbau eines breiten, wirksamen und tragfähigen Netzwerks zu investieren – und mich der Bewegung für ein gutes, sauberes und faires Lebensmittelsystem anzuschließen. Alles dank der elektrisierenden Wirkung von Terra Madre.

Wenn ich heute auf meinen Werdegang zurückblicke, wird mir klar, dass es überall Bäuerinnen und Bauern, Handwerkerinnen und Handwerker, Aktivistinnen und Aktivisten aus einfachen Verhältnissen und dörflichen Gemeinschaften gibt, deren Arbeit unserer Philosophie auf eine praktische Ebene verhilft und die Gründungsideen von Slow Food in die Realität umsetzt. Wenn wir Wege finden, diese Vielfalt, diesen Enthusiasmus und diese Kreativität kontinuierlich in unsere Strukturen einzubinden, tragen wir so einen Schatz an unterschiedlichsten Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zusammen, der unsere globale Bewegung von der lokalen Ebene aufwärts bereichert. Die neue Organisationsstruktur eröffnet unserem Netzwerk neue Möglichkeiten, soziale und geografische Grenzen zu überwinden und mehr Offenheit und Inklusion zu leben. Das Modell der partizipativen Stiftung, das wir ab Juli einführen werden, ist das Ergebnis eines kollektiven Findungsprozesses und erinnert uns daran, wer wir wirklich sind: eine echte Basisbewegung, die sich aus den Mitgliedern der Convivien und Gemeinschaften in allen Teilen der Welt zusammensetzt. Dieser Zusammenhalt gibt uns die nötige Kraft, um die vielschichtigen Mängel des derzeitigen Lebensmittelsystems aufzuzeigen und zu bekämpfen, das in seiner jetzigen Form immer neue Krisen und Missstände verursacht. Wir müssen in Zukunft darauf achten, mehr Anstrengung und Ressourcen in die Stärkung und den Ausbau unseres Basisnetzwerks zu geben, indem wir mehr Leiter*innen und Aktivist*innen ausbilden und unterstützen, mehr Gemeinschaften einladen, sich uns anzuschließen, und unsere Mitgliederbasis in den Convivien vergrößern. Lasst uns zudem darauf achten, dass wir unsere Türen, Herzen und Augen für die Zusammenarbeit mit anderen öffnen, die den gleichen Weg wie wir gehen, indem wir Aktionsbündnisse und andere Partnerschaften eingehen.

Es ist an der Zeit, aus unseren sozialen und geografischen Blasen herauszutreten und Verbindungen mit anderen einzugehen, die die Vision eines guten, sauberen und fairen Lebensmittelsystems teilen und wie wir für die Rettung unseres Planeten eintreten. Aus den vielfältigen Verbindungen innerhalb unseres Netzwerks und über seine Grenzen hinaus entsteht eine Art Mosaik, das nur auf den ersten Blick unvollständig scheint. Bei genauerem Hinsehen fügen sich die einzelnen Teilchen zum Bild der Schnecke zusammen, das in allen Teilen der Erde sichtbar und wirksam wird. Terra Madre steht für fundiertes Wissen und konkretes Handeln, dessen Stärke an der Basis beginnt.

Die Neuausrichtung ist auch wichtig für den Ausbau unserer themenbezogenen Netzwerke und soll den Nährboden bilden für intensiven Gedankenaustausch darüber, wie wir robuste Managementsysteme für unsere Großprojekte schaffen und neue Aktivitäten an der Basis entwickeln können. Für manche klingt das vielleicht kompliziert. Ich denke: Mit dem Call to Action als Leitfaden und der neuen, offeneren und inklusiven Organisationsstruktur im Rücken ebnen wir den Weg hin zu einem guten, sauberen und fairen Lebensmittelsystem.

Gemeinsam sind wir stark.

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