Interview Nina Meyer

Als Nina Meyer vor drei Jahren die Beitrittsunterlagen zur Chef Alliance von Slow Food ausfüllte, dachte sie: »Das ist ja das, was wir sowieso seit 20 Jahren machen.« Und dann hat gar nicht alles ins Formular gepasst, was sie zu erzählen gehabt hätte. Sie ist Küchenchefin im »Bio-Berghotel Ifenblick« in Balderschwang im Allgäu, einem Familienbetrieb seit drei Generationen. Luka Lübke, Chef-Alliance-Köchin aus dem platten Norden hat sie in dieser verzauberten Bergwelt kurz vor Österreich besucht, sehr gut gegessen und neugierige Fragen gestellt.

Wie ist es, ein Hotelkind zu sein? Es ist großartig! Du lernst unglaublich viele Leute kennen, bist bei all den schönen Festen dabei, siehst die Bräute und die schönen Kleider. Es gibt immer richtig gutes Essen. Und der Gast ist immer König! Dazu kann man sich jetzt was denken, wenn man möchte…

Bist du als Allgäuerin eher mit Skiern oder mit Kochlöffel auf die Welt gekommen? Mit dem Snowboard! Ich habe mit elf angefangen und habe dann sechs Jahre lang eigentlich nichts anderes gemacht. Kochen wollte ich als junger Mensch nie. Ich wollte alles, außer Köchin sein, Grafikerin zum Beispiel. Aber es hat nicht funktioniert. Kochen funktioniert für mich. Es strengt mich nicht an. Ich weiß einfach, wie es geht, wie ein Bildhauer weiß, welche Figur sich in einem Stein oder Stück Holz verbirgt. Ich weiß, wie etwas sich anfühlt, klingt, zusammen riecht und schmeckt. Es läuft mir so aus der Hand.

Nur Hand? Oder auch Herz oder Hirn? Ja klar, alles. Es reicht mir nicht, wenn ich nur Ideen habe. Ich liebe auch den Orga-Kram, der zum Kochen dazugehört, die Herausforderung, gemeinsam mit den Mitarbeitenden zum Ziel zu kommen, während der eine so und der andere so ist. Aber ich liebe auch Kartoffeln zu schälen, so schier geradeaus die Gedanken ziehen lassen. Ich kann nie nur eins. Entweder-Oder kann ich ganz schlecht, ich will immer alles.

Deine alpine Fusionküche zeigt Facetten aus aller Welt. Wie argumentierst du Kokosmilch und welche Klassiker würdest Du niemals antasten? Ich koche nur das, was ich mag und ich mag Experimente. Natürlich achte ich auf vorwiegend regionale Erzeugnisse, fast alles kommt aus dem Allgäu oder von meinen Partnern im benachbarten Österreich. Kokosmilch ist einfach eine perfekte Basis für vegane Gerichte, und wo bleibt der Spaß bei 100 % Korrektheit? Und Spaß will ich haben, das soll man auch schmecken. Natürlich könnte ich immerzu Kässpätzle und Kaiserschmarrn machen, aber da wäre mir langweilig. Und klar koche ich zum Kaiserschmarrn mal ein etwas anderes Kompott, aber den Schmarrn selbst dekonstruiere ich nicht. Beim Kaiserschmarrn geht es um Gefühl, darum, dass es schmeckt wie bei der Oma. Da muss man nicht dran rumwurschteln.

Hast Du Sehnsucht nach Kokosmilchländern, möchtest Du manchmal weit kucken und gibt es überhaupt Urlaub in Deiner Welt? Nein. Ich brauche die Begrenzung durch die Berge, die mir mehr Heimat sind, als Meer es jemals sein könnte. Ich habe kein Reisefieber und das Konzept Urlaub verstehe ich nur schlecht. Wenn, dann will ich immer gleich ganz dahinziehen!

Hast Du ein kulinarisches Guilty Pleasure? Mon Cherie aufbeißen, austrinken und mit Eierlikör wieder auffüllen!

Beschreibe einen Tag in Deinem Leben! Er endet immer in der Badewanne. Noch ein Guilty Pleasure! Aber besser als Alkohol und Drogen, oder?

Welchem Promikoch möchtest du mal die Ohren langziehen? Ich kenne garkeinen. Okay, vorhin habe ich Gordon Ramsay erwähnt, aber dem nehme ich sein Gehabe nicht übel, das ist ja Teil seiner Marke und er ist ja in seiner Funktion eher ein Clown als ein Koch. Meine Antwort an solche Choleriker wäre: Wenn ein Mitarbeiter seine Arbeit nicht richtig macht, reflektiert das nicht die Fähigkeit des Mitarbeiters, sondern Deine Unfähigkeit ihm etwas beizubringen.

Bist Du denn kein Clown? Ich bin eher ein Paradiesvogel… (Eine Taube setzt sich ans Fenster) also eine Taube bin ich nicht. Ich bin der Kakadu der Voralpen!

Bunt und Laut? Was es braucht, das bin ich schon. Ich kann laut sein, wenn es angebracht ist, und ich kann leise sein, wenn es angebracht ist. Noch mal zum Ohren langziehen: Anthony Bourdain nehme ich es sehr übel, dass ich ihn nicht lebend habe kennen lernen dürfen.

Was hättet Ihr denn dann gemacht? Er hätte eine Allgäu-Tour gemacht und ich hätte für ihn gekocht.

Wohin gehört Kochen in der Bildung und wann soll man anfangen? Kochen ist so essenziell wie alle anderen Kulturtechniken, es gehört in die Grundschule. Es gehört mit Leichtigkeit und Freude beigebracht, ohne jegliche Ermahnung. Eigentlich müssten die Großmütter an die Schulen.

Kochst du für Deinen Hund? Nein, aber er kriegt auch kein Fertigfutter, sondern wird nach dem BARF-Prinzip (Biologically appropriate raw food) ernährt, bekommt von mir also rohes, artgerechtes Fressen. Er ist ein bisschen pingelig. So wie meine Tochter, die im Alter von drei Jahren ihr erstes Nigiri gegessen hat und heute sagt: Mama, Du weißt doch, dass ich nicht so gern Rundkornreis esse. Das kommt dabei raus, wenn man mit gutem Essen groß wird!

Du kritisierst Vegetarier:innen, obwohl Du größtenteils vegetarisch kochst. Was passiert da? Ich kann nachvollziehen, dass jemand keine Tiere essen will, weil er oder sie nicht will, dass für ihn ein Tier geschlachtet wird. Wenn dieser Mensch aber Milchprodukte isst, finde ich das zu kurz gedacht. Durch den Verzehr von Ei oder Molkereiprodukten verursacht er, dass ein Tier gezeugt wird, denn sonst gäbe es keine Milch. Die männlichen Tierkinder werden mehr oder weniger weggeworfen, weil sie nutzlos für den Markt sind. Hier im Ifenblick unterstützen wir unsere Bäuerinnen und Bauern, in dem wir ihnen regelmäßig eine Charge Jungzicklein abnehmen, die wir ganz verarbeiten.

Schon Deine Urgroßmutter war Köchin, Deine Oma ebenfalls, Dein Vater ist Küchenmeister, Dein Bruder Bäckermeister und Deine Mutter Restaurantfachfrau. Was sind die beruflichen Pläne Deiner beiden Kinder? Im Moment möchte meine Tochter ein Jahr nach Amerika und dann Gerichtsmedizinerin werden und mein Sohn erstmal etwas Naturwissenschaftliches studieren. Mal sehen. Ich will, dass sie mögen, was sie tun. Tankstelle - auch okay für mich.

Du bist Küchenchefin und arbeitest mit Deinem Vater als Küchenmeister in einem Raum. Was hat er Dir mit auf den Weg gegeben und gibt es da Emanzipationsschwierigkeiten? Ist Gleichstellung in Küchen überhaupt noch ein Thema? Bei uns gibt es genau gar nichts, was besser sein könnte. Papa ist mir noch nie in die Parade gefahren. Er vermittelt mir sein Wissen und ich mache was damit und ich kann mich zu 150% auf ihn verlassen. Genauso wie auf meinen Bruder Bastl, unseren Bäckermeister. Blut ist dicker als Wasser. Im Ganzen Leben habe ich das Emanzipationsding nicht verstanden. Entweder Du bist ein Arschloch oder du bist kein Arschloch. Egal welches Geschlecht oder Ethnie. Natürlich ist mir während meiner Zeit als Commis auch eine Menge Niederträchtiges begegnet, ekelige Sprüche, Ecken mit dem Zahnbürschtl putzen… all das, was man heute Mobbing nennen würde. Aber es waren immer die Souschefs, niemals die Küchenchefs. Heute weiß ich, dass diese Männer sich bedroht gefühlt haben - damals kam mir das ganz normal vor.

Was bedeutet Dir die Chef Alliance und Deine im September gewonnene Auszeichnung als Bio-Spitzenköchin? Wir arbeiten hier im Ifenblick genauso wie vor 20 Jahren. Wir haben nie etwas gemacht, weil wir dachten, das sei jetzt Trend. Das wird sich auch nicht ändern, aber ich freue mich, wenn es gesehen wird. Dafür ist so ein Netzwerk besser als alle Werbung, die man machen könnte.

Darf man in der Küche weinen? Beim Zwiebeln schneiden? Ja. Wenn etwas traurig ist, dann auch - und vor Freude auch.

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