Arche-Tag Beuren Nürtinger Zeitung

Bericht der Nürtinger Zeitung vom 24.09.2007

Genießen im Schneckentempo

Schwarzer Brei und Schneckensuppe: Slow Food Stuttgart lud ins Beurener Freilichtmuseum zum Tag der Arche des Geschmacks.

BEUREN. Albschnecken, Filderkraut und andere Spezialitäten war das Motto, mit dem das Slow Food Convivium Stuttgart am Sonntag in Freilichmuseum Beuren eingeladen hatte. Großer Andrang herrschte im Schafstall des Museums, in dem man regionale Spezialitäten probieren und mitnehmen konnte. Angeboten wurden neben Essen und Trinken auch Führungen, die einen Einblick in traditionelle und nachhaltige Aufbaumöglichkeiten und die Vielfalt der Kulturpflanzen in der Region boten.
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PHILIP SANDROCK
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Wir freuen uns immer wieder, wenn die Slow-Food-Leute hier sind, sagt Jörg Dehlinger, der die Veranstaltung von Museumsseite aus organisiert. Zum zweiten Mal fand der Tag der Arche des Geschmacks nun statt.

Slow Food ist ein internationaler Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, dem Verlust der Esskultur und der Geschmacksvielfalt entgegenzuwirken. Der aus Italien stammende Verein ist seit 1992 in Deutschland aktiv und organisiert regelmäßig Veranstaltungen rund ums Essen. Regional ist die Bewegung in sogenannten Convivien (lateinisch für Tafelrunde) organisiert.

Aber nicht nur Slow-Food-Anhänger fanden an dem herrlichen Herbstsonntag ins Freilichtmuseum, auch zahlreiche Touristen nahmen die Gelegenheit wahr, einen etwas anderen Blick auf das Essen und den Genuss zu werfen.

Die Arche des Geschmacks ist ein internationales Projekt der Slow-Food-Bewegung. Ziel des Projekts ist es, lokale und regionale Lebensmittel, Nutztier- und Nutzpflanzen, die auszusterben drohen, vor dem Vergessen zu retten, berichtet Roman Lenz. Der Professor der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen ist der Vorsitzende des Slow Food Conviviums Stuttgart.

Das Angebot war sehr reichhaltig. Es reichte vom Filder-Spitzkraut und die Alblinse über die Champagner-Bratbirne und Musmehl eine Mischung aus Dinkel und Weizenschrot bis hin zur Albschnecke. Auch flüssige Spezialitäten gab es: Das Weingut Helmut Dolde bot seine Weine an. Der Wengerter, der hauptberuflich Gymnasiallehrer ist, baut auf nur 1,4 Hektar zusammen mit einigen Freunden einen Wein an, der kürzlich sogar Weinkritiker Stuart Pigott von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf den Plan rief. Das Ergebnis: Die Leser kauften im den Keller leer.

Eine weitere Attraktion war die Herstellung und Verkostung von Schwarzem Brei. Dieser aus Musmehl hergestellte Brei ist sehr vielseitig. Es gibt keine Grenzen bei der Herstellung, man kann reintun, was einem schmeckt, erklärt Wolf Rühle, der den Brei für die Besucher zubereitet. Vorhin habe ich einen Brei mit Frühlingszwiebeln und Gewürzen gemacht, jetzt gerade kann man ein süße Variante mit Milch, Honig und Himbeeren probieren. Die Kinder, die den dunklen, süßen Brei probieren, sind weniger begeistert, aber eine ältere Dame, die ebenfalls bei der Verkostung dabei ist, gerät ins Schwärmen: Es ist das beste Frühstück, das es gibt, erzählt Hedwig Walz aus Ehingen. Auch habe sie ihren Kindern immer Schwarzen Brei statt Babybrei gegeben. Das war besser und außerdem konnten wir so noch einen Haufen Geld sparen, berichtet sie weiter.

Auch die Führungen waren interessant. So führte zum Beispiel Lenz zum historischen Schneckengarten. Wenn man eine Weile einen Schneckengarten beobachtet, bekommt man ein ganz anderes Zeitgefühl, sagte Lenz schmunzelnd zur Einführung in ein fast vergessenes Kapitel der Alblandwirtschaft. Im 18. und 19. Jahrhundert ist das Lautertal eine echte Schneckenhochburg gewesen, weiß Lenz zu berichten.

Durch ein Projekt der Hochschule Nürtingen sei dieses Kapitel erforscht worden. Einige Bauern im Lautertal haben vom Schneckenhandel gelebt. Durch die Winterruhe, die die Weinbergschnecke im Herbst beginnt, sei die Schnecke auf natürliche Art konserviert. Die Schnecke gräbt sich bis zu 15 Zentimeter ein und verschließt ihr Haus mit einem dichten Kalkdeckel, um zu überwintern. Diese Winterruhe nutzten die Landwirte aus, um die Schnecken einzusammeln und in die Fässer verpackt in die Feinschmeckermetropolen Paris und Wien zu liefern. So seien jährlich mehrere hunderttausend Schnecken verkauft worden. Die sogenannten Deckelschnecken wurden auch schäbische Austern genannt, weiß Lenz.

Gehalten wurden die Schnecken in Schneckengärten, eingezäunten Grünflächen, die verhinderten, dass die Tiere entkommen konnten. Schließlich dauert es bis zu drei Jahren, bis eine Schnecke erntereif ist. In dieser Zeit fütterten die Züchter mitunter auch verschiedene Kräuter zu, um einen charakteristischen Geschmack zu erreichen.

Doch die billigere Konkurrenz aus Frankreich und neuerdings auch aus Fernost ließ die schwäbische Tradition der Schneckenzucht fast verschwinden. Dabei ist der Lebensmittelindustrie beinahe jedes Mittel recht: Die derzeit im Handel erhältlichen Achatschnecken seien, so Lenz nicht anderes als eine tropische Schneckenart, die bis zu 500 Gramm schwer wird. Sie werden gegart, zerschnitten und mit viel Soße in Weinbergschneckenhäuser gefüllt. Es ist die preiswerteste, aber auch die minderwertigste Art von Schneckenfleisch, die es gibt. so Lenz.

Die Weinbergschnecke ist mittlerweile europaweit unter Schutz gestellt. Und auch Slow Food hat sie als Arche-Passagier aufgenommen. Doldes Silvaner steht auch auf der Kandidatenliste. Er ist zumindest in Württemberg vom Aussterben bedroht.

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