Zweimal Unverpackt in Sandharlanden

Ein Dorf, wo es noch etliche Bauern gibt, einen Wirt, einen Lebensmittelladen. 2019? In Bayern? Wohl nicht mehr so oft...

 Wir haben eines gefunden – im äußersten Westen Niederbayerns, in Sandharlanden – heimliche Hauptstadt des Anbaugebiets Abensberger Spargel. Zwar beherrschen auch hier ein paar Spargel- und Erdbeerfürsten mit ihren einem Vergnügungspark nicht unähnlichen Verkaufsstätten die Szene. Im nahen Abensberg gibt es die üblichen Discounter und Einkaufsparadiese auf der grünen Wiese. Wir von Slow Food Niederbayern (unterstützt von ein paar Genussengagierten unseres uns stets so gewogenen Nachbar-Conviviums Ingolstadt) sind da wie meistens eher auf der Suche nach dem gallischen Dorf des industriellen Nahrungsmittel-Imperiums. In Sandharlanden werden wir gleich zweimal fündig.

„Wo soll der nei – hast was dabei?“ Eine derartige Frage an der Käsetheke hört man bislang auch in hippen Geschäften in deutschen Großstädten nicht gerade häufig. Denn dass das gerade von Luisa Brunner abgeschnittene Stück des Bio-Bergkäses in einem selbst mitgebrachten Behältnis verschwinden sollte, wäre ihr am liebsten. Schließlich hat sie sich vor einigen Monaten unter tatkräftiger Mithilfe von Mutter und Großmutter mit einem mutigen Konzept selbstständig gemacht: Einem Gemischtwaren-Laden, in dem – wo auch immer möglich – auf Verpackung verzichtet wird. Und die Produkte überwiegend aus der Region stammen und biologisch erzeugt sein sollen. Und quasi ein Vollsortiment angeboten wird. Könnte schon laufen sowas, in München-Haidhausen oder Berlin-Kreuzberg. Jedoch: die Boderei liegt in Niederbayern. In einem Dorf – Sandharlanden! Das kann doch nicht funktionieren. Tut´s aber. Luisa wirkt selbst etwas überrascht, wenn sie die Erfolgsgeschichte der letzten Monate erzählt.

 

Bei einem Neuseeland-Aufenthalt mit ihrem Freund kam ihr der Gedanke, den ehemaligen Dorfladen ihrer Oma wiederzubeleben. Deren Vater, ein approbierter Bader, der von seinem eigentlichen Beruf, dem Haareschneiden, Zähneziehen etc. allein nicht leben konnte, eröffnete den Gemischt- und Kolonialwarenladen bereits 1928 als Zuverdienst-Quelle. Weitergeführt wurde er dann ab 1965 selbstständig von der Großmutter der jetzigen Inhaberin, immer mal wieder war die Schließung angedacht. Im vergangenen Jahr aber fasste Luisa, bestärkt von Mutter und Oma, den Entschluss: Der Laden wird als Boderei – Reverenz an den Urgroßvater – weiterbetrieben.

Und wie: freundlich-helle Räume, in denen jeder Winkel genutzt ist, überall warten mit den verschiedensten Lebensmitteln oder Haushaltsbedarf gefüllte Glas- oder Holzgefäße auf Entnahme. In mitgebrachte oder bereitliegende Beutel, Gläser, Dosen: Reis, Nudeln, Schokolade, aber auch Spül- oder andere Reinigungsmittel und Seifen zum Selberabfüllen oder -zapfen. Sofort helfen flinke Hände, sollte etwas unklar oder einfach neu sein. Dazu eine Frischetheke mit Käse, Wurst oder Fleisch. Milchprodukte, Gemüse und Obst. Sogar ein kleiner Getränkemarkt findet sich. Und die Menschen aus dem Dorf nehmen es an – nicht nur wie in anderen Fällen, wenn beim Discounter die Butter vergessen wurde… Oder kommen sogar von weiter her, um hier einzukaufen. Nicht ohne Grund gehört Luisa Brunner mit ihrer Boderei zu den fünf Finalistinnen (unter mehr als 500 Vorschlägen) einer Aktion des Bayerischen Rundfunks, die das Gute Beispiel sucht, das das Leben im Freistaat lebenswerter macht.

Nur wenige Schritte entfernt führt Veronika Röll, gelernte Landwirtin und Hauswirtschafterin, den gleichnamigen Spargelhof. Auch sie setzt auf eine Besonderheit: Als einzige Vollerwerbsproduzentin des Anbaugebiets verzichtet sie auf Folien über den Spargel-Bifängen. Ihre Mutter erzählt uns, dass sie und ihr Mann die Spargel-Erzeugung schon vor Jahren umgestellt hatten, als nämlich Rückrufaktionen wegen Weichmachern in Kunststoffen als krebserregend erkannt wurden: „Da liegt dann doch der Spargel auch monatelang drunter und kommt mit dem Plastik in Berührung!“ Also: keine Folien mehr. Das bedeutet natürlich, dass Ernte (und damit Einnahmen) später erfolgen, die Felder mehrmals täglich begutachtet werden müssen, da herausspitzende Spargelköpfchen zur Eile mahnen: Der grüne Spargel würde schnell aufblühen, der weiße sich lila verfärben (was aber keine Geschmackseinbußen nach sich zieht und daher kundige Käuferschichten nicht vom Kauf – schon aus Trotz – abhalten sollte…). Die langsamere Reifung lässt das Gemüse intensiver schmecken, der volle Geschmack ist von einem Märzgewächs, eventuell sogar fußbodenbeheizt, sowieso nicht zu erwarten. Doch Veronika Röll ist sich ihrer Außenseiterrolle bewusst, wenn auch immer mehr Menschen ihren Spargel nachfragen. Denn 98% der Erzeugung in Deutschland (2018: 133.000 Tonnen wurden hierzulande auf unglaublichen 23.000 Hektar Fläche produziert) stammen aus Folienanbau. Der gesamte folienfrei gewachsene Spargel in der ganzen Republik würde nur einen ein Meter breiten Streifen von Sandharlanden ins fünf Kilometer entfernte Abensberg ausmachen… Macht man sich klar, dass pro Hektar Spargelfläche sieben Kilometer Folie benötigt werden, kommt man auf 160.000 Kilometer Plastik allein für dieses Gemüse – damit könnte die Erde viermal eingewickelt werden!

 

 

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