Solidarische Landwirtschaft in Nordhessen

Die Idee der Solidarischen Landwirtschaft ist nicht neu, sie ist in Japan, den USA und mehreren europäischen Ländern mehr oder wenig stark verbreitet und sehr unterschiedlich ausgestaltet. Der Kerngedanke ist aber immer der gleiche: Verbraucher teilen sich die Produktionskosten (Saat- und Pflanzgut, Lohnkosten etc.) und geben dem Hof dadurch Planungssicherheit und eine finanzielle Basis. Dafür erhalten sie ihren Anteil an der Ernte in Form saisonaler, regionaler, gesunder Lebensmittel und erfahren vieles über die Produktion auf „ihrem“ Bauernhof. Diese Philosophie ist nahe bei den Idealen von Slow Food, die Solidarische Landwirtschaft verwirklicht perfekt die Idee vom Verbraucher als Co-Produzenten. Slow Food unterstützt deshalb vor Ort konkrete Projekte (z. B. in München) und hat dem Thema einen Schwerpunkt im Magazin August/September 2014 gewidmet. – Soweit der Hintergrund, nun zur konkreten Erfahrung:

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Den letzten Sonntag im September haben wir für eine größere Fahrradtour genutzt. Auf dem Rückweg sind wir auf dem Kuckucksmarkt in Braach gewesen – für eine Bratwurst und einen Kaffee. An den Markt hatten wir keine großen Erwartungen: Kunsthandwerk, Kleintextilien und Ahle Wurscht von für uns unklarer Qualität dominieren das Angebot. Plötzlich stehen wir vor einem urigem Gemüse- und Kartoffelstand, daneben ein Werbeplakat und Infomaterial zum Thema „Solidarische Landwirtschaft“.

Wir sind beide überrascht: Solidarische Landwirtschaft haben wir im Umfeld der Großstädte verortet. Dort gibt es genügend Menschen, die die Idee der weitgehenden Partnerschaft von Bauern und Essern so wichtig nehmen, dass sie zu einer engen Bindung an die Produkte „ihres“ Bauernhofes bereit sind. Aber hier bei uns in der ländlichen Region?
Wir kommen mit der Standbetreiberin Dörte Hufmann ins Gespräch und erfahren, dass sie und ihr Mann ihren kleinen Gemüsebaubetrieb in Oberellenbach möglichst ab nächstem Jahr auf solidarische Landwirtschaft umstellen wollen und dafür fürs Erste ca. 30 Teilnehmer suchen. Das Interesse am Thema sei unerwartet groß. Während des Gespräches kommt ein Mann vorbei, der gut informiert ist über die Thematik. „Das wird aber auch Zeit, dass es hier so was gibt“, sagt er und trägt sich flugs in die Interessentenliste ein. Wir verabreden noch einen Informations-Auftritt von Dörte Hufmann auf dem Regionalmarkt „Nordhessen geschmackvoll!“ und kündigen einen Besuch auf dem Hof zwecks Einkauf von Lagergemüse für den Winter an.
Der Besuch hat nach vorheriger Bestellung von Wirsing, Zwiebeln, Lauch, Roter Bete, Sellerie, Kürbissen und Kostproben von den Spezialitäten-Kartoffeln stattgefunden. Nach dem Verladen des Gemüses gibt es erstmal einen kleinen Spaziergang zu einem der beiden Felder der Hufmanns (insgesamt bearbeiten sie einen knappen Hektar). Die Bäuerin erzählt, dass die Felder nur mit Pferden und mit Menschenkraft bearbeitet werden. Eine Verdichtung der Böden wird so verhindert. Zudem werden die Pferde für Ausfahrten mit interessierten Gruppen genutzt, um damit zusätzlich Geld zu verdienen.
Der Betrieb kommt ohne großen Kapitaleinsatz aus. Gedüngt wird mit Kompost und mit Pferdemist, auf Herbizid- und Fungizideinsatz wird verzichtet. Die Mischkultur und die gute Durchlüftung der Felder hat bisher gesundes und schmackhaftes Gemüse wachsen lassen. Eine Zertifizierung durch einen Bioverband streben die Hufmanns mit ihrem kleinen Betrieb vorerst nicht an. Sie setzen auf durch den engen Kundenkontakt entstehendes Vertrauen.
In der Küche setzen wir das Gespräch fort, Ehemann Günter kommt dazu. Er bringt seine Freude an der Arbeit mit den bretonischen Kaltblutpferden zum Ausdruck. Er bedauert, dass er als Landwirtschaftsmeister ohne geerbten Hof so lange nicht das nötige Selbstvertrauen für eine Hofgründung gehabt hat. Deutlich wird, dass es den beiden vor allem um die Arbeit auf dem Feld geht und um die Freude, gesunde und wohlschmeckende Lebensmittel für Menschen zu erzeugen, zu denen ein direkter Kontakt besteht. Das Feilschen mit Großhändlern, bei dem am Ende meist ein jämmerlicher Preis rauskommt, das Zurückkommen vom Markt mit Resten, die irgendwie unter die Leute gebracht werden - das behagt den Hufmanns überhaupt nicht. Von daher finden sie die Idee der Solidarischen Landwirtschaft hervorragend: Im Frühjahr mit den Teilnehmern zusammen kommen, gemeinsam besprechen, was in welchem Umfang angebaut wird und was die Bauernfamilie für Unkosten hat und zum Leben braucht und daraus die Höhe der Beteiligung der Einzelnen ermitteln, einerseits ein verlässliches Einkommen zu haben und andererseits verlässliche Abnehmer für die Ernte – so stellen sich die beiden eine befriedigende Landwirtschaft vor. „Das ist da, nehmt Euch Euren Ernteanteil!“ Nach dieser einfachen Logik würde Dörte Hufmann gern ihre Gemüse unter die Leute bringen.
Die Internetadresse von Familie Hufmann lautet www.kutschfahrten-hufmann.de. Wer weitere Informationen zur Thematik sucht, wird auf der Internetseite www.solidarische-landwirtschaft.org fündig. Dort gibt es auch eine Netzwerkkarte der in Deutschland aktiven Projekte. In Nordhessen sind verzeichnet:
·         Gemüsebaukollektiv Rote Rübe in Kaufungen (Teil der Kommune Niederkaufungen) www.kommune-niederkaufungen.de
·         CSA Freudenthal in Witzenhausen www.gemuesefreuden.wordpress.com
·         Till Döring in Wabern-Zennern (geht in 2015 an den Start).
In die Solidarische Landwirtschaft einsteigen wollen auch die Nachfolger der Gärtnerei Montag in Wanfried-Altenburschla, Kerstin Dehning-Perc und Harald Perc; Infos gibt es unter www.gaertnerei-montag.de.

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