Der Doppelherz-Motor des Rhöner Geschmacks

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Oder wie eine Landschaft ihr kulinarisches Gesicht erhält
Von Hans-Werner Bunz

Es war fast zeitgleich: Die Gründung von Slow Food und Claus Vorndrans Wandlung zum Slow Fooder – allerdings ohne jegliche Kenntnis von Slow Food. Angesteckt durch seinen Chef fing er nämlich an, sich stark für die Lebensmittel seiner Umgebung zu interessieren. Diese Umgebung war das Berner Oberland in der Schweiz, wo der junge Koch, Sohn eines Land- und Gastwirts, Ende der 1980er Jahre berufliche Erfahrungen sammelte. Mit geschärftem Blick entdeckte er nun auch bei Besuchen zuhause in Bischofsheim in der bayerischen Rhön ihm bis dahin unbekannte Speisen und Lebensmittel - besonders in der thüringischen Rhön; denn inzwischen war Deutschland wiedervereinigt. Die Gründung des Biosphärenreservates Rhön mit seinen Landschaften in Bayern, Hessen und Thüringen im Jahre 1991 weitete buchstäblich seinen Blick und bewirkte im Jahr drauf seine Rückkehr ins väterliche Gasthaus „Dickas“ als Küchenchef.

Kaum da, faszinierte ihn das Projekt, das ein gewisser Dieter Popp im Auftrag des Biosphärenreservats anschob: Die Rhöner Landwirte mit den Rhöner Gastwirten in partnerschaftlichen Kontakt zu bringen. Auch die junge Gastwirtin Brigitte Niebergall in ihrer „Kulturhaus-Gaststätte“ im thüringischen Dernbach war davon fasziniert und hatte sich ihm schon 1991 angeschlossen. Gewohnt zur DDR-Zeit, nur Lebensmittel der nachbarschaftlichen Erzeuger zu bekommen, war das Poppsche Konzept für sie zwar nichts Neues. Doch war es attraktiv, weil sie rasch erkannt hatte, dass die westlichen, billigen Industrielebensmittel ihr nicht genügten und der Grund dafür waren, dass viele ihrer davon begeisterten thüringischen Kollegen Schiffbruch erlitten. Aus dem Projekt entstand dann 1993 der Verein „Aus der Rhön - für die Rhön e.V.“ mit 62 Land- und 21 Gastwirten, darunter auch Claus Vorndran und Brigitte Niebergall. Dass dieser Verein ihr Leben verändern würde, ahnten sie nicht.

Jeden Tag aus der Rhön – für die Rhön
1998 - der Verein in Turbulenzen, viele Mitglieder ausgetreten - fingen sie an, sich näher kennen zu lernen. Im Jahr darauf übernahm Claus Vorndran den Vereinsvorsitz, den er bis heute inne hat. Und aus dem Näher-Kennenlernen wurde eine Lebensgemeinschaft, Brigitte verließ ihre Gaststätte und übernahm als selbstständige Unternehmerin mit ihrer Firma „Gastro-Service Rhön“ Pflichten im „Dickas“. 2004 wurde geheiratet, zwei Kinder bereichern heute den Haushalt.

Bereits ein Jahr zuvor lernten beide Slow Food kennen und wurden sofort Mitglieder. Als sie 2004 beim ersten von Slow Food organisierten Welttreffen der kleinen Erzeuger in Turin, Terra Madre, teilnahmen, waren sie zutiefst bewegt: Es wurde ihnen bewusst, dass ungeheuer viele Menschen auf der Welt das Regionale hoch halten und leben. Sie fühlten sich nicht mehr allein, sondern sahen, dass viele die gleichen Ziele haben. Beide beflügelte diese Einsicht zu weiterem Engagement in ihrer Region.

Regionale Kreisläufe aufgebaut
Heute zählt „Aus der Rhön – für die Rhön e.V.“ (www.adr-fdr.de) 11 Gastronomen aus Bayern, Thüringen und Hessen. Dazu kommen noch sechs Partnerbetriebe, vor allem Erzeuger. Wie wichtig Slow Food für den Verein geworden ist, zeigt die Maßnahmenliste zur Umsetzung der Qualitätskriterien, die u.a. eine enge Zusammenarbeit mit Slow Food fordert. Dem Verein ist es wesentlich zu verdanken, dass die Jahrhunderte alte Rasse des Rhönschafes, ein Passagier der Slow Food Arche des Geschmacks, gerettet wurde und dass der Ruf der Rhöner Lebensmittel mehr und mehr glänzt. Hinzu kommt, dass auch traditionelle Rezepte – vorsichtig modernisiert - zunehmend aufgegriffen werden. Der Geschmack der Rhön ist inzwischen Wirklichkeit geworden.

Hatten die Vorndrans schon im eigenen Hause und mit „Aus der Rhön – für die Rhön“ Entscheidendes für die Geschmacksidentität der Rhön geleistet, so weiteten sie dies aus durch Mitarbeit bei der Entwicklung der Dachmarke Rhön (Claus Vorndran ist Mitglied im Vorstand). Im Rahmen des dazu gehörenden Bayerischen Gastronomieprojektes übernahmen sie den Auftrag, Anreize zur Übererfüllung der Eintrittskriterien für die Dachmarken-Nutzung zu schaffen. Claus’ Idee einer Bewertungskategorisierung nach dem Ausmaß der eingesetzten Rhöner Produkte anhand von Silberdisteln, dem Symbol der Rhön, nutzten Brigitte Vorndran zusammen mit Hannelore Rundell, heute stellv. Geschäftsführerin der Dachmarke, für die praktische Umsetzung. Dieses Bewertungskonzept - drei Silberdisteln erhält, wer 60 Prozent und mehr seines Wareneinsatzes von Rhöner Erzeugern bezieht – ist zum Erfolg geworden. Inzwischen sind viele Rhöner Gastronomen Partnerschaften mit Rhöner Erzeugern eingegangen – ganz wie Slow Food es sich wünscht. Denn so werden regionale Kreisläufe aufgebaut.

Gasthaus Dickas und Rhöner Schaubrennerei, Josefstr. 9, 97653 Bischofsheim, Tel: 09772-458, Fax: -1295, E-Mail: info@rhoener-schaubrennerei.de, Internet: www.rhoenerschaubrennerei.de  (Foto: Hans-Werner Bunz)

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