Der Herr der Quitten

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Es war eine Entdeckung. Und geschah 1999 in Würzburg am Hexenbruch: Zum ersten Male sah Marius Wittur einen Quittenbaum. Immerhin war der gelernte Baumpfleger mit seinen 26 Jahren längst ein sehr erfahrener Park- und Obstbaumkenner, dem keine hiesige Art mehr unbekannt schien. Und nun das: eine unbekannte Spezies! ‚Wenn’s einen Baum gibt, gibt’s hier sicher noch weitere’, dachte er. Und hielt von da an Ausschau nach ihnen. Und in der Tat: es gab sie, oftmals allerdings von wucherndem Gesträuch versteckt .

Witturs erwachte Leidenschaft kann nur verstehen, wer selbst einmal das Erlebnis einer Entdeckung hatte. Und eine Entdeckung war es in der Tat. Denn fast überall in Deutschland war der Quittenbaum aus Garten und Landschaft verschwunden, obwohl einst weit verbreitet. Selbst die Fachwelt war desinteressiert: Baumschulen hatten, wenn überhaupt, ein, zwei Sorten im Angebot; und die Obstkundler, die Pomologen, verzeichneten nur fünf Sorten. Hier aber, im fränkischen Weinland, gab es noch Quittenbäume, manchmal in Gärten, da und dort im öffentlichen Raum und – dies vor allem – an den Rangen entlang des Mains, vor allem um Volkach herum.

Wahre Quittenleidenschaft
Die Quitte hatte Marius Wittur richtig gepackt. Er beschloss, nach Unterfranken zu ziehen. Würzburg war seine erste Station, dann zog er mit seiner Gefährtin Leonie Wright nach Kitzingen, um dann 2003 in Untereisenheim heimisch zu werden. In ihrer Freizeit, also am Wochenende, reisten, radelten und wanderten beide durch die Region und suchten Quittenbäume. Hatten sie welche gefunden, bestimmten sie die Stellen und legten so gewissermaßen ein Kataster an. Was aber Marius Wittur immer mehr und mehr fesselte, war die Entdeckung, dass es hier eine Vielzahl von unbekannten Sorten der Gattung Cydonia gab. Denn als Baumpfleger war ihm Sortenbestimmung nicht fremd. Freilich, die Namen der Sorten wusste er nicht, konnte Antworten auch nicht in seinen Unterlagen finden, da die Pomologie sie nur vereinzelt beschrieben hatte.

Nun ging das Forschen erst richtig los. Hilfreich dabei waren die Quittenkundlerin und Autorin Monika Schirmer, die Landesanstalt für Wein- und Gartenbau, aber auch – vor allem bei den autochthonen alten lokalen Sorten - die alten Leute, die diese Bäume einst noch bewirtschafteten. Zu einer Fundgrube wurden dabei die längst aufgegebenen Rangen, nördlich orientierte kleine Hanggrundstücke am Prallufer des Mains bei Astheim, einem Ortsteil von Volkach. Die Leidenschaft von Wittur und Wright war nun so mächtig geworden, dass sie beschlossen, diese Sortenvielfalt zu retten. Und sie begannen, Flächen zu pachten und auch zu kaufen. Dann verjüngten sie die Bäume, gaben ihnen wieder Licht und Luft. Eine harte Arbeit war das, körperlich hart, aber auch hart hinsichtlich der Arbeitsbedingungen bei Wind und Wetter, bei Schnee und Eis. Doch dabei reifte eine neue Idee: Wir gründen ein Unterfränkisches Rekultivierungsprojekt alter Quittensorten. Das war 2003.

Das Quittenrettungsprojekt
Es basiert auf der Idee des dezentralen Bestandschutzes „der gehegten Kleinode, um die seit Jahrhunderten in Franken heimische Quitte dort platziert zu lassen, wo sie den Menschen an Ort und Stelle zum Riechen nah bleibt“, sagt Marius Wittur. Doch ein solches Projekt will auch finanziert sein. Und hier hatte er eine weitere Idee: Wir erzeugen mit unseren Früchten einen Quittenwein. Immerhin hatten diese Möglichkeit schon die alten Ägypter entdeckt. Und auch die Römer kannten längst Quittenwein, wie Plinius (23 – 79 n.Chr.) in seinem Naturkundebuch beschreibt. Mustea hieß die römische Mostquitte. „Heureka“, dachte da Wittur, „das ist der Name für meinen Quittenwein“.

Hier muss eingefügt werden, dass Marius Wittur ja einer entlohnten Arbeit nachging; denn vom Quittenbäume schneiden und pachten konnte er nicht leben. Und hier traf es sich bestens, dass er beim Nordheimer Manfred Rothe, Slow Food Förderer und Mitglied, Bio-Winzer und Edelbrenner mit einer großen Menge von alten Streuobstbäumen bereits seit einiger Zeit arbeitete. Und nebenbei auch viel vom Weinmachen lernte. Das Apfelweinmachen freilich kannte er längst aus seiner Taunusheimat. Mit all diesem Wissen begann er 2003 ganz für sich allein mit der Vinifizierung seiner ersten Ernte. Und der Wein gelang. Noch besser wurde der des Jahres 2004, sein erster Wein der Marke MUSTEA. Der 2005er war eine weitere Steigerung, qualitäts- und mengenmäßig. Auch ein neues Produkt kam dazu, der Barrique cydonia. 2006 erweiterte der Quitten-Secco das Sortiment. Die jüngste Neuheit ist der 2009er Quittenwein trocken.

Die Qualität der Weine war so überzeugend, dass jeder Jahrgang rasch ausverkauft war. So konnte Wittur weitere Quittenbestände pachten, aber nunmehr auch Flächen, auf denen er die Vermehrung der Sorten beginnen konnte. Denn inzwischen hatte er schon rund 30 Sorten bestimmt, darunter eine Reihe lokaler Sorten, wie z.B. der Astheimer Perlquitte, ein Kandidat der Slow Food Arche des Geschmacks. Auch drängte eine weitere Idee zur Verwirklichung: „Dieser Astheimer Nordhang ist ideal für einen Quittenlehrpfad“.

Ein Quittenlehrpfad für alle
Gedacht ist bei Wittur auch getan. Und so legte er gemeinsam mit Leoni Wright aus eigenen Mitteln diesen vier Kilometer langen Pfad an mit 12 Thementafeln. 100-jährige Baumgreise stehen dort, deutschlandweit die ältesten kultivierten Quittengehölze, wurzelnd zwischen Flurgrundstücken des 18. Jahrhunderts, fast unveränderte einstige Lehen des Astheimer Klosters. Ein Gebiet, das Heimat ist für 70 Wildpflanzen und 55 Vogelarten. Inzwischen war auch der Landschaftspflegeverband aufmerksam geworden und erbot sich, die Witturschen Holz- durch Metalltafeln zu ersetzten.

Der Ruf Witturs – seit 2006 mit seiner Gefährtin Leoni Wright Slow Food Mitglied - als Retter und Herr der Quitten hatte die Grenzen der Mainschleife längst überschritten. Von immer weiter entfernten Regionen kamen Anfragen und Angebote. Und so wurde aus dem unterfränkischen ein Fränkisches Rekultivierungsprojekt alter Quittensorten. Heute arbeiten Leonie, inzwischen verheiratete Wittur mit zwei Kindern, und er ausschließlich im eigenen Betrieb, der neben der MUSTEA ® Quittenwein-Produktion auch eine eigene Bio-Quitten-Baumschule umfasst, in der aktuell über 80 Quittensorten veredelt und vermehrt werden, darunter 20 lokale und regionale – zweifelsfrei ein weltweit einzigartiges Angebot. Und geradezu ehrenamtlich ist sein Angebot der Pomologie: die Sortenbestimmung im Oktober, wenn man ihm Früchte und Blätter plus bestimmte Informationen kostenfrei zuschickt.

Ausgeweitet hat Wittur auch sein Interesse: So züchtet er Schafe der stark gefährdeten Rasse Coburger Fuchsschaf, entwickelt neue Produkte mit Quitten und schreibt Bücher. Erstaunlich, was er bewältigt.

MUSTEA Marius Wittur, Hadergasse 9, 97247 Untereisenheim, eMail: info@muestea.de, Web: www.mustea.de
(Foto oben: Mustea/I.Brosch, Foto unten: Mustea/Stefan Abtmeyer)


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